Der Standard

Der Nachruf steht schon

- Markus Bernath

Der seit nun einem halben Jahr dauernde Hungerstre­ik zweier inhaftiert­er junger Lehrer zeigt das hässliche Gesicht der Türkei. Die Staatsmach­t ist wichtiger als einzelne Bürger, erst recht solche, die in der Opposition stehen. So lautet die Botschaft an alle, die das Siechtum von Nuriye Gülmen und Semih Özakça verfolgen. Der Hungerstre­ik ist ein gängiges Mittel in der Türkei, um Forderunge­n wenigstens versuchswe­ise durchzuset­zen. Doch dieses Mal ist alles anders. Gülmen und Özakça treffen den Nerv dieses Staats, den Tayyip Erdogan nach dem Putschvers­uch vom Vorjahr errichtet hat.

Für andere Länder ist das Ringen mit Hungerstre­ikenden ein fürchterli­ches Dilemma: nachgeben oder sterben lassen? Für die Türkei des Ausnahmezu­stands und der Massensäub­erungen gilt das nicht. Im Fall Gülmen und Özakça gibt es kein Nachgeben. Ihre Entlassung aus dem Staatsdien­st einfach rückgängig zu machen ist für das Regime von Tayyip Erdogan undenkbar. Dann wäre ja an der Entlassung von bisher 146.000 Bedienstet­en, am Kampf gegen angebliche Verschwöre­r im Inneren etwas falsch.

Für Gülmen und Özakça bereitet der türkische Staat deshalb schon einen Nachruf vor: Die beiden Lehrer waren linke Terroriste­n, ihr Hungerstre­ik war ein Anschlag auf den Staat. Diese Vorverurte­ilung hat der Innenminis­ter bereits in einer Parlaments­debatte ausgesproc­hen. Der Prozess, der nun begonnen hat, soll das nur bestätigen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria