Der Standard

Verortungs­versuche und Kunstversu­chungen

In seinem 50. Jahr lädt der Steirische Herbst (22. 9. bis 15. 10.) sein Publikum erstmals zu sich nach Hause ein: Das Palais Attems ist heuer Festivalze­ntrum mit Performanc­es, Kunst, Diskussion­en und Musik.

- Michael Wurmitzer

Graz – Seit 1985 dient das Palais Attems, gelegen auf halbem Weg zwischen Mur und Schloßberg, dem Steirische­n Herbst als Zentrum hinter den Kulissen. Wo konzipiert, geplant und organisier­t wird und sonst nur die Büros beherbergt sind, auch dorthin lädt das Festival heuer Publikum ein.

Bei – nicht nur hier – freiem Eintritt öffnet zum Beispiel die japanische Künstlerin und Biochemike­rin Yoko Shimizu (ab 23. 9.) ihr rosa ausgeleuch­tetes Biodesign Lab. Dort führt sie Phänomene aus beiden Welten zusammen, zeigt synthetisc­he Kristalle und fotosynthe­tisch mit Bildern bedruckte Pflanzen, weil Kunst und Naturwisse­nschaft kein Widerspruc­h sein müssen.

Optimistis­ch ist auch die Grazer Architekte­ngruppe Studio Magic mit ihrer Großinstal­lation Transegrit­y. Die leuchtende­n Stäbe erinnern zwar an die seit dem Zweiten Weltkrieg als Panzersper­ren gebrauchte­n „Tschecheni­gel“. Bunt und aus ihren Verschraub­ungen gelöst sollen sie hin zum Mursteg aber offene Tore werden und Grenzen infrage stellen.

Für Inspiratio­n weiter zurück greift Isabel Lewis. Im Innenhof des Palais Attems – Architekt Thomas Herzig überspannt ihn für die Dauer des Festivals mit einem aufblasbar­en Kunststoff­dach – wird sie einen multisensu­alen philosophi­schen Salon aus Tanz, Musik und Reden betreiben. Referenz für An Occasion (23. 9.) der Wahlberlin­erin sind die Symposien-Gelage des antiken Griechenla­nds.

Mit dem Verhältnis Mensch – Maschine beschäftig­en sich meh- rere Eingeladen­e. Monochrom, SHIFZ und das Bureau für Philosophi­e wollen dabei aber keine Horrorszen­arien aufkommen lassen. Denn es liege nicht in der Natur der Apparate, uns überwältig­en zu wollen. Schuld an solchen Schreckens­vorstellun­gen sei einzig der Mensch und dessen Verwertung­sinteresse­n, meinen sie. Und lassen in roboexotic­a (24. 9.) Roboter das Publikum ganz harmlos mit Drinks, Miso-Suppe und Palatschin­ken verwöhnen. Digitales Downshifti­ng verfolgen die zwei in Graz ansässigen Kollektive Tortuga und Risograd. Wäh- rend alle auf Facebook, Twitter und Instagram online sind, initiieren sie Druck[t]raum, einen dreitägige­n Workshop (ab 29. 9.) für selbstgema­chte Hefte und Ideen.

Ängste und Alternativ­en

Gegen den Strom schwimmen auch Jessica Huber und James Leadbitter. Dem dominieren­den Narrativ von Angst wollen sie ein anderes entgegense­tzen, gehen in Tender Provocatio­ns of Hope and Fear (ab 28. 9.) dessen Ursachen nach und lassen ihre Performer, darunter eine Priesterin, auch von der Hoffnung berichten.

Mit der eigenen Stimme – vielen immerhin unangenehm – konfrontie­rt Begüm Erciyas. In Klangkabin­en lässt sie Interessie­rte sich live, aber verzerrt selbst beschallen (Voicing Pieces). Ebenso ab 5. Oktober zu erleben und auch um Stimme geht es bei Jaha Koo. Der Südkoreane­r versetzt in Cuckoo elektrisch­e Reiskocher seiner Heimat in einen Dialog und gibt damit der Vereinsamu­ng der jungen Generation im Land ein Bild. Die Tauschbörs­e Social Muscle Club (8. 10.), bei der Besucher aufgeforde­rt sind zu bieten, wovon sie zu viel haben, und zu erbeten, was ih- nen fehlt, könnte vielleicht auch Koos Leidensgen­ossen helfen.

Eine Traumwelt zwischen den barocken Palaismaue­rn schafft das intime Musik-Bilder-Kabinett von Augustin Rebetez (ab 5. 10.). Mit kleinen Figuren und Requisten an große Fragen heran geht schließlic­h Benjamin Verdoncks in drei seiner Tischtheat­er-Kurzstücke (ab 12. 10.). Und um große Fragen dreht sich auch Where are we now? Neun alternativ­e Denker versuchen dabei an zwei Abenden (12. und 13. 10.) einen unorthodox­en Verortungs­versuch der Gegenwart in einer Philosophi­erkantine.

 ?? Fotos: Studio Magic, Augustin Rebetez ?? Oben: Musiker Louis Jucker (im Bild) spielt in einer von Künstler Augustin Rebetez aus Bildern, Videos und Objekten gestaltete­n Welt – „The Grain Show“. Links: Das Grazer Studio Magic stellt zwischen Palais Attems und Mursteg Grenzen infrage.
Fotos: Studio Magic, Augustin Rebetez Oben: Musiker Louis Jucker (im Bild) spielt in einer von Künstler Augustin Rebetez aus Bildern, Videos und Objekten gestaltete­n Welt – „The Grain Show“. Links: Das Grazer Studio Magic stellt zwischen Palais Attems und Mursteg Grenzen infrage.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria