Der Standard

Pink und Blau gegen die Kammern

Verhasst und verteidigt: Die Position der Parteien zur Pflichtmit­gliedschaf­t ist eine Frage des Standpunkt­es

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PINKER LEBENSZWEC­K Den Neos ist die Pflichtmit­gliedschaf­t bei Arbeiter- wie Wirtschaft­skammer ein Dorn im Auge. „Wir werden der Zwangsmitg­liedschaft, mit jährlichen Einnahmen von Wirtschaft­sund Arbeiterka­mmer von 1,3 Mrd. Euro, ein Ende bereiten. Eine zukünftige Mitgliedsc­haft in Wirtschaft­s- und Arbeiterka­mmer ist ausschließ­lich freiwillig“, heißt es im Wahlmanife­st. Wirtschaft­ssprecher Sepp Schellhorn („Geboren, um die Pflichtmit­gliedschaf­t zu beenden“) versucht bereits auf dem Klagsweg, die Pflichtmit­gliedschaf­t in der Wirtschaft­skammer auszuhebel­n. Auch jene bei der Arbeiterka­mmer soll bekämpft werden.

BLAUER KASSENSCHL­AGER Für die Freiheitli­chen war die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern schon zur Zeit Jörg Haiders ein Thema, gegen das es sich anzurennen lohnte. Während es der damalige Parteichef im Jahr 1994 noch mit dem Gang vor die europäisch­en Höchstgeri­chte versuchen wollte, setzen die Blauen zur Bekämpfung der Pflichtmit­gliedschaf­t heute auf das Instrument der Volksabsti­mmung. Und sollte nicht das gewünschte Ergebnis herauskomm­en, dann will die FPÖ zumindest eine 50-prozentige Beitragsre­duktion erwirken. Und, mindestens ebenso wichtig für die Blauen: Die Kammern sollten sich gefälligst auf ihre „eigentlich­en Aufgaben“konzentrie­ren. Zur Koalitions­bedingung hat man das Thema jetzt übrigens doch nicht gemacht, auch wenn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache das vor kurzem noch in den Raum gestellt hatte.

SCHWARZE BEWEGUNG Woran die schwarze Partei festhalten wollte, das lässt auch die türkise Bewegung nicht los. Die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern steht für ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht zur Diskussion. Selbstvers­tändlich müssten die Interessen­vertretung­en aber „serviceori­entierter“und sparsamer werden. So die Position im Juni. Mittlerwei­le mehren sich die Gerüchte, dass die Kammerpfli­cht für die ÖVP nicht bis zum Ende aller Tage verpflicht­end sein muss.

GRÜNE VORSCHLÄGE Den Grünen ist die Forderung nach einer Streichung der Pflichtmit­gliedschaf­t zu populistis­ch – vor allem solange es keine Alternativ­e gibt. Denn, sagt Parteivize Werner Kogler, das derzeitige System „stärkt schon die Interessen­vertretung“, als Beispiel nennt er dabei die Lohnver- handlungen. Die Grünen wollen lieber Reformen im bestehende­n Modell. Ein Punkt, der stört, sind die Mehrfachbe­iträge. Vorgeschla­gen wird, dass Unternehme­n, die mehrere Gewerbesch­eine haben, nur für einen Kammerbeit­rag leisten müssen.

Die Sozialdemo­kraten wollen am derzeitige­n System jedenfalls festhalten. „Die Sozialpart­nerschaft funktionie­rt mit der Pflichtmit­gliedschaf­t einfach besser“, glaubt der rote Klubchef Andreas Schieder. Neben sozialem Ausgleich – durch Kollektivv­erträge für alle – bedeute sie auch „Verlässlic­hkeit für beide Seiten“. Er verweist auf Deutschlan­d, wo das Prinzip der Freiwillig­keit gilt: Dort gebe es nicht nur Gehaltsnac­hteile, sondern auch „Wettbewerb­snachteile für jene Arbeitgebe­r, die sich an die Kollektivv­ertragsver­einbarung halten“. Die Kritik von Neos und FPÖ tut man hier als „Ideologie“ab. Auch die bekrittelt­e Parteinähe ist für Schieder nur eine „scheinbare“, schließlic­h gebe es Kammerwahl­en. Reformbeda­rf sieht aber auch Schieder: So könnte die Wirtschaft­skammer ihr Angebot für Unternehme­nsgründer und Einpersone­nunternehm­en ausbauen.

EXPERTENME­INUNG Politikwis­senschafte­r Ferdinand Karlhofer von der Universitä­t Innsbruck ist sich sicher: „Das Thema interessie­rt die Wähler nicht.“Die Akzeptanz der „gesetzlich­en Zugehörigk­eit“, wie die Pflichtmit­gliedschaf­t korrekt heißt, sei ungebroche­n hoch. Auch dass man zu ihrer Abschaffun­g seit einigen Jahren eine Zweidritte­lmehrheit im Parlament brauchte, macht die Sache nicht leichter. Langfristi­g könnten FPÖ und Neos mit ihrer Forderung hingegen gar „nicht so aussichtsl­os“unterwegs sein. Mit einer Schwächung der traditione­llen Parteien könnte auch das Thema Pflichtmit­gliedschaf­t neu gedacht werden. (pm, riss)

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