Kadyrow präsentiert zwei Lebende auf Todesliste
Der Streit über angebliche Massenerschießungen in Tschetschenien geht in die nächste Runde. Inzwischen ermitteln die Behörden wegen des Verschwindens von 18 Personen offiziell. Weil zwei mutmaßliche Opfer leben, erklärt Ramsan Kadyrow die Todesliste für w
„Wie mir die tschetschenischen Ermittlungsbehörden mitgeteilt haben, wurden wegen des Verschwindens von 18 Menschen Strafverfahren eingeleitet“, teilte die Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Tatjana Moskalkowa, auf ihrer Instagram-Seite mit. Die Angelegenheit ist politisch brisant: Die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta hatte vor Monaten über Entführungen, Folter und standrechtliche Erschießungen in der russi- schen Kaukasusrepublik Tschetschenien berichtet. In einem Fall ging es um die Verfolgung Homosexueller, in einem anderen um die Reaktion der Behörden auf einen terroristischen Angriff gegen die tschetschenische Hauptstadt Grosny im vergangenen Dezember.
Nowaja Gaseta hatte im zweiten Fall eine Liste mit zunächst 27 mutmaßlichen Opfern vorgelegt und die russischen Behörden zu strafrechtlichen Ermittlungen aufgefordert. Die tschetschenische Führung dementierte die An- schuldigungen, Nationalitätenminister Dschambulat Umarow sprach von „kranker Phantasie“der Journalisten. Auch die Moskauer Behörden kamen nur langsam in die Gänge, Moskalkowa begründete dies zunächst mit den fehlenden Angaben über die Personen auf der angeblichen Todesliste, versprach aber, an der Sache dranzubleiben.
Nun präsentierte sie die ersten Untersuchungsergebnisse: Demnach sollen zwei Personen, die auf der Liste standen, eines natürlichen Todes gestorben sein, zwei weitere sind am Leben. Und wegen des Verschwindens von 18 Personen wird ihren Angaben nach ermittelt. „Wir sind nicht zufrieden mit der langsamen Aufklärung des Ermittlungskomitees im Nordkaukasus“, klagte Moskalkowa bei einer Sitzung der Polizei- behörden in Grosny und behielt sich vor, die weiteren Untersuchungen an Ermittler außerhalb Tschetscheniens zu übertragen.
Kadyrows Interpretation
Derweil interpretierte Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die vorläufigen Untersuchungsergebnisse auf seine Weise: „Das meiner Meinung nach wichtigste Ergebnis der Reise Moskalkowas war die Feststellung der Wahrheit mit den sogenannten Listen, die von einigen Medien veröffentlicht wurden. Diese „Ente“verbreiten nämlich unsere Feinde schon seit geraumer Zeit“, erklärte Kadyrow .
Da zwei Menschen auf der Liste inzwischen als lebendig identifiziert worden seien, sei auch die ganze Todesliste widerlegt, befand Kadyrow. Die Presse bringe die Sache ohnehin nur auf, um Tschetschenien in Misskredit zu bringen, so der Republikchef.
„Sie sind gekommen und haben selbst die Antworten auf die meisten Fragen bekommen“, zitiert der Pressedienst Kadyrows dessen Gespräch mit Moskalkowa. Ob die russischen Behörden außerhalb Tschetscheniens angesichts von mindestens 18 Verschwundenen tatsächlich alle Fragen für beantwortet halten, bleibt offen. Kadyrow jedenfalls will einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen.
Eine ähnliche Rhetorik hatte er auch schon beim Fall der Homosexuellenverfolgung an den Tag gelegt. Er bestritt die Verfolgung, da es überhaupt keine Homosexuellen in Tschetschenien gebe – „und wenn doch, dann könnt ihr diese Teufel behalten“, sagte er einer westlichen Journalistin.