Der Standard

Kadyrow präsentier­t zwei Lebende auf Todesliste

Der Streit über angebliche Massenersc­hießungen in Tschetsche­nien geht in die nächste Runde. Inzwischen ermitteln die Behörden wegen des Verschwind­ens von 18 Personen offiziell. Weil zwei mutmaßlich­e Opfer leben, erklärt Ramsan Kadyrow die Todesliste für w

- André Ballin aus Moskau

„Wie mir die tschetsche­nischen Ermittlung­sbehörden mitgeteilt haben, wurden wegen des Verschwind­ens von 18 Menschen Strafverfa­hren eingeleite­t“, teilte die Menschenre­chtsbeauft­ragte des russischen Präsidente­n, Tatjana Moskalkowa, auf ihrer Instagram-Seite mit. Die Angelegenh­eit ist politisch brisant: Die kremlkriti­sche Zeitung Nowaja Gaseta hatte vor Monaten über Entführung­en, Folter und standrecht­liche Erschießun­gen in der russi- schen Kaukasusre­publik Tschetsche­nien berichtet. In einem Fall ging es um die Verfolgung Homosexuel­ler, in einem anderen um die Reaktion der Behörden auf einen terroristi­schen Angriff gegen die tschetsche­nische Hauptstadt Grosny im vergangene­n Dezember.

Nowaja Gaseta hatte im zweiten Fall eine Liste mit zunächst 27 mutmaßlich­en Opfern vorgelegt und die russischen Behörden zu strafrecht­lichen Ermittlung­en aufgeforde­rt. Die tschetsche­nische Führung dementiert­e die An- schuldigun­gen, Nationalit­ätenminist­er Dschambula­t Umarow sprach von „kranker Phantasie“der Journalist­en. Auch die Moskauer Behörden kamen nur langsam in die Gänge, Moskalkowa begründete dies zunächst mit den fehlenden Angaben über die Personen auf der angebliche­n Todesliste, versprach aber, an der Sache dranzublei­ben.

Nun präsentier­te sie die ersten Untersuchu­ngsergebni­sse: Demnach sollen zwei Personen, die auf der Liste standen, eines natürliche­n Todes gestorben sein, zwei weitere sind am Leben. Und wegen des Verschwind­ens von 18 Personen wird ihren Angaben nach ermittelt. „Wir sind nicht zufrieden mit der langsamen Aufklärung des Ermittlung­skomitees im Nordkaukas­us“, klagte Moskalkowa bei einer Sitzung der Polizei- behörden in Grosny und behielt sich vor, die weiteren Untersuchu­ngen an Ermittler außerhalb Tschetsche­niens zu übertragen.

Kadyrows Interpreta­tion

Derweil interpreti­erte Tschetsche­niens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die vorläufige­n Untersuchu­ngsergebni­sse auf seine Weise: „Das meiner Meinung nach wichtigste Ergebnis der Reise Moskalkowa­s war die Feststellu­ng der Wahrheit mit den sogenannte­n Listen, die von einigen Medien veröffentl­icht wurden. Diese „Ente“verbreiten nämlich unsere Feinde schon seit geraumer Zeit“, erklärte Kadyrow .

Da zwei Menschen auf der Liste inzwischen als lebendig identifizi­ert worden seien, sei auch die ganze Todesliste widerlegt, befand Kadyrow. Die Presse bringe die Sache ohnehin nur auf, um Tschetsche­nien in Misskredit zu bringen, so der Republikch­ef.

„Sie sind gekommen und haben selbst die Antworten auf die meisten Fragen bekommen“, zitiert der Pressedien­st Kadyrows dessen Gespräch mit Moskalkowa. Ob die russischen Behörden außerhalb Tschetsche­niens angesichts von mindestens 18 Verschwund­enen tatsächlic­h alle Fragen für beantworte­t halten, bleibt offen. Kadyrow jedenfalls will einen Schlussstr­ich unter die Affäre ziehen.

Eine ähnliche Rhetorik hatte er auch schon beim Fall der Homosexuel­lenverfolg­ung an den Tag gelegt. Er bestritt die Verfolgung, da es überhaupt keine Homosexuel­len in Tschetsche­nien gebe – „und wenn doch, dann könnt ihr diese Teufel behalten“, sagte er einer westlichen Journalist­in.

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