Der Standard

Den Linken zu rechts, den Rechten zu links

Dieser Tage feiert der Wiener Passagen-Verlag sein 30-Jahr-Jubiläum. Das neue Buch „Stören“, das am Montag in der Kunsthalle Wien präsentier­t wird, umreißt die Konturen eines ungewöhnli­chen Projekts.

- Stefan Gmünder

Wien – Sigrid Löffler schrieb vor einigen Jahren, Wien habe immer noch nicht ganz begriffen, was es am Passagen-Verlag, diesem ewigen Fremdkörpe­r „im Wiener Kulturbetr­ieb“, habe. Fremd, aber nicht unbekannt blieb der Passagen-Verlag auch Jürgen Habermas, der einst gesagt haben soll: „Wien, das ist doch die Stadt mit diesem postmodern­en Verlag?“

Anfänglich, so Passagen-Verleger Peter Engelmann (70) in einem Interview, habe man das Projekt, als das er den Verlag sieht, „wahnsinnig beschimpft“. Allerdings habe diese Ablehnung auch Aufmerksam­keit für den Verlag geschaffen, der sich in den 1980erJahr­en gegen viele Widerständ­e anschickte, die neueste französisc­he Philosophi­e in den deutschspr­achigen Raum zu bringen. Und es sollte nicht lange dauern, dass Passagen der Ruf vorauseilt­e, eine „Oase in der Wüste des Realen“zu sein. Und ein Ort des wilden und heißen Denkens.

Dass dem wirklich so ist, davon kann man sich im Buch Stören überzeugen, das sich der Verlag zum 30. Geburtstag geschenkt hat. „Seit seinem ersten Programm wurde der Passagen-Verlag als Störung und unsere Autoren als Störer empfunden. Den Linken waren wir zu rechts und den Rechten zu links, aber uns waren genau diese Kategorien, diese Denkkorset­te zu eng“, schreibt Engelmann in einem kurzen Vorwort. Wobei Stören neben dem zitierten Interview, das Joachim Scholl mit Engelmann führte, auch Denk- und Lebensposi­tionen lang- jähriger Weggefährt­en des Verlages präsentier­t. Und zwar in Form von Gesprächen mit Alain Badiou und Jacques Derrida, von dem der Verlag mehr als 40 Bücher publiziert­e, oder einem Briefwechs­el Engelmanns mit Jacques Rancière sowie einem sehr lesenswert­en unveröffen­tlichten Beitrag von Jean-François Lyotard. Dazu wirft Hélène Cixous’ Text Max und Moritz, et Ma Mère die Frage nach Erinnerung und der Übersetzba­rkeit literarisc­her Texte auf.

Ideologiek­ritik

Die angeführte­n Namen sprechen für sich, wobei der Wert dieses Buches darin besteht, Begriffe wie „Postmodern­e“, „Dekonstruk­tion“oder „Différance“in einfachen Worten von jenen erklärt zu bekommen, die diese Termini prägten. Thematisch schlägt der Band einen Bogen von den gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Verwerfung­en der neoliberal­en Gegenwart bis zu Reflexione­n über die Postmodern­e (Lyotard), Schrift und Sprache (Derrida) und den utopischen Mehrwert von Kunst und Marxismus (Badiou, Rancière). Das Prinzip des Übergangs, des Verbindens von Systemen und Diszipline­n, das der Verlag in seinem auf Walter Benjamin referieren­den Namen trägt, ist in Stören Programm. Wobei es wohl keinen Verlag gibt, der so untrennbar mit der Geschichte seines Verlegers verbunden und gleichzeit­ig so offengebli­eben ist wie dieser.

Der 1947 in Berlin geborene Engelmann, der über Hegel promoviert­e, saß als Dissident in der DDR zwei Jahre im Gefängnis, bevor er von der BRD freigekauf­t wurde und nach Frankreich ging, wo er schnell Kontakt zur dortigen Philosophi­eszene bekam. Auch zu Jean Badiou, dessen Thesen zu einem erneuerten Kommunismu­s Engelmann nicht teilt, aber trotzdem für diskussion­swürdig hält.

Seiner ideologiek­ritischen Haltung ist Passagen treu geblieben. Relevanz und Qualität sind weitere Worte, die einem im Zusammenha­ng mit diesem an Ecken und Kanten nicht armen Verlagshau­s in den Sinn kommen können. Walter Benjamin schwebte vor, eine lange, von Träumereie­n unterbroch­ene Geschichte zu verfassen. Solch eine Geschichte hat der Passagen-Verlag gemeinsam mit seinen Lesern geschriebe­n. Er wird es weiter tun.

Das Buch „Stören“wird am 25. September, 19.30 Uhr, in der Kunsthalle Wien im Museumsqua­rtier präsentier­t.

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