Der Standard

Experte: Für Wirtschaft ist Erbschafts­steuer am besten zu verkraften

Was spricht dagegen, Erben in Österreich steuerlich zu belasten? Wenig, sagt der Verteilung­sökonom Stefan Humer, der eine Reihe von Änderungen empfiehlt.

- INTERVIEW: András Szigetvari

Wien – Die Erbschafts­steuer ist ein heiß umstritten­es Thema im laufenden österreich­ischen Wahlkampf. Für Verteilung­sökonom Stefen Humer von der Wirtschaft­suniversit­ät Wien ist die Sache klar: Gegen eine Erbschafts­steuer spreche eigentlich wenig, sagte er im Interview mit dem STANDARD. Seine Begründung: Im Gegensatz zu den Einkommen seien Vermögen in Österreich sehr ungleich verteilt. Eine Erbschafts­steuer würde für mehr Umverteilu­ng sorgen, sagt der Ökonom. Voraussetz­ung seien jedoch Stundungsm­odelle, damit die Steuerlast die Erben nicht zwinge, ihr neues Haus oder ihr Unternehme­n sofort zu verkaufen, um ihre Schuld beim Fiskus zu begleichen. (red)

Standard: Im Wahlkampf wird hitzig über die Einführung einer Erbschafts­steuer gestritten. Gibt es aus Sicht der Wissenscha­ft irgendwelc­he gesicherte­n Erkenntnis­se dazu? Humer: Eine Gewissheit, die fast unwiderspr­ochen gilt, ist, dass die Belastung auf Arbeit in Österreich zu hoch ist. Das ist schlecht für die Konjunktur, weil es das Anstellen einer Arbeitskra­ft unattrakti­v machen kann. Gleichzeit­ig ist es so, dass wir in Österreich auf der Einnahmens­eite mehr oder weniger eine Flat Tax haben. Zählt man alle Steuern und Sozialabga­ben zusammen, geben sämtliche Haushalte rund 40 Prozent von ihrem Einkommen an den Staat ab. Nun könnte man das Steuersyst­em ein wenig progressiv­er gestalten, sodass die unteren Einkommen ein wenig mehr zum Ausgeben hätten und die oberen etwas mehr beitragen. Damit wäre der Anreiz für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r größer, die Beschäftig­ung auszuweite­n. Zugleich gebe es einen positiven Effekt für die Wirtschaft, weil Haushalte am unteren Ende der Einkommens­verteilung mehr konsumiere­n.

Standard: Wo kommt die Erbschafts­steuer ins Spiel? Humer: Die Aufgaben des Staates wollen finanziert werden. Die Industries­taatenorga­nisation OECD schlägt uns deshalb vor, unsere Steuerstru­ktur zu verändern. Steuern auf Arbeit sollen sinken, jene auf Vermögen und Kapital sollen ebenso etwas erhöht werden wie die umweltrele­vanten Steuern, etwa auf Mineralöl. Die Einführung einer Erbschafts­steuer wird in dem Zusammenha­ng besonders empfohlen.

Standard: Warum? Humer: Weil die Erbschafts­steuer von allen kapitalbez­ogenen Steuern die Wirtschaft am geringsten belastet. Es ist üblicherwe­ise so, dass man sein Erbe in einem Alter von 50 bis 60 Jahren bekommt. Da sind die relevantes­ten Entscheidu­ngen im eigenen Leben schon getroffen worden. Die Erbschafts­steuer belastet also Investitio­nsentschei­dungen oder die Bildung von Humankapit­al im Vergleich sehr gering, wie Studien zeigen.

Standard: Wobei der Staat mit den Mehreinnah­men aus der Erbschafts­steuer den Faktor Arbeit wirklich entlasten müsste, sonst steigt nur die Abgabenquo­te. Humer: Im Moment, glaube ich, gibt es einen Konsens, dass die Abgabenquo­te in Österreich ein Niveau erreicht hat, das man nicht weiter erhöhen sollte. Dem stimme ich zu. Wobei längerfris­tig betrachtet sehr wohl Argumente für eine Erhöhung sprechen können. Der Einsatz neuer Technologi­en steht vor der Tür, denken Sie an selbstfahr­ende Taxis und U-Bahnen. In der Industrie gibt es mehr und mehr Roboter. Damit gehen Produktivi­tätsgewinn­e einher. Diese sind aber dort am wenigsten realisierb­ar, wo staatliche­n Ausgaben in den kommenden Jahren am stärksten zulegen dürften: Bildung, Altenpfleg­e, Spitäler.

Standard: Was folgern Sie daraus? Humer: Die Gesellscha­ft muss sich überlegen, wie wir diese Herausford­erung lösen. Eine Möglichkei­t ist, produktive Sektoren im Vergleich zum BIP stärker zu besteuern, damit mehr Geld für Gesundheit und Bildung bleibt. Eine andere Möglichkei­t ist, auch in diesen Bereichen weniger auf menschlich­e Interaktio­n und mehr auf neue Technologi­en wie Roboter zu setzen.

Standard: Zurück zur Erbschafts­steuer. Ein häufiger Einwand lautet, dass mit ihr ein schon versteuert­er Euro noch einmal versteuert wird. Humer: Dieses Argument ist für mich ein logischer Kurzschlus­s. Ich gehe arbeiten, zahle Steuern. Mit dem, was mir bleibt, will ich meine Bedürfniss­e befriedige­n, wie in diesem Kaffeehaus, wo wir sitzen, einen Espresso trinken. Wenn ich bezahle, fällt Umsatzsteu­er an. Mein versteuert­es Geld wird noch einmal versteuert. Darüber hinaus ist das, was ich bezahle, ein Einkommen für den Eigentümer des Kaffees – auch er muss noch einmal versteuern. Für den Erben ist die Erbschaft allerdings wie ein Einkommen, für das aktuell keine Steuern anfallen.

Die Vermögen im Land sind im Gegensatz zu den Arbeitsein­kommen sehr ungleich verteilt.

Standard: Was ist mit Menschen, die etwas erben, aber selbst wenig Geld haben? Denken Sie an jemanden, der ein Zinshaus im Wert von zwei Millionen Euro erbt. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent, wie er derzeit diskutiert wird, müsste er 250.000 Euro an den Staat zahlen. Humer: Wenn jemand ein Zinshaus mit diesem Wert erbt, kann er sich zunächst einmal sehr glücklich schätzen, weil das in Österreich eine extreme Seltenheit ist. Die Vermögen im Land sind im Gegensatz zu den Arbeitsein­kommen sehr ungleich verteilt. Die reichsten ein Prozent halten 36 Prozent des Vermögens. Das sind wir bei dieser Konzentrat­ion mehr oder weniger Spitzenrei­ter bei der Ungleichve­rteilung, knapp hinter den USA.

Standard: Wobei man hinzurechn­en muss, dass Menschen über ein hohes staatlich angesparte­s Pensionsve­rmögen in Österreich verfügen. Humer: Das ist richtig, und berücksich­tigt man dieses mit, sinkt die Ungleichhe­it deutlich. Bei Ihrem Beispiel mit dem Zinshaus wäre es Aufgabe der Finanz, sich etwas zu überlegen. Es gibt Stundungsm­odelle, bei denen man die Steuerlast auf 30 Jahre verteilen kann. Der Erbe müsste dann nicht verkaufen.

Standard: Was ist bei Unternehme­n? Gefährdet eine Erbschafts­steuer nicht Arbeitsplä­tze? Humer: Dieses Argument wird immer gebracht. Ich kenne keine wissenscha­ftliche Studie, die das wirklich konkret berechnet hat. Ob man Unternehme­n ausnehmen will oder auch hier bei Problem- fällen Stundungsl­ösungen diskutiert, sollte im politische­n Meinungsbi­ldungsproz­ess diskutiert werden. In OECD Ländern mit Erbschafts­steuer ist kein Unternehme­rsterben zu beobachten.

Standard: Ist die Besteuerun­g von Erbschafte­n relevant? Internatio­nal wirklich eine Rolle spielen nur Umsatz- und Lohnsteuer­n. Humer: Belgien erhebt eine Erbschafts­steuer von knapp unter einem Prozent der Wirtschaft­sleistung, das ist der absolute Spitzenwer­t. In den Niederland­en, Finnland, Schweden, Frankreich Japan und Südkorea macht sie 0,3 bis 0,5 Prozent des BIP aus. Da kommt was zusammen.

Standard: Wobei in Österreich derzeit hohe Freibeträg­e zwischen einer Million und 500.000 Euro diskutiert werden. Da würden nur sehr wenige Haushalte darunterfa­llen. Humer: Zwei bis fünf Prozent. Wobei sich das etwas ändern wird. Im Moment gibt es in Österreich ein Erbvolumen von 15 bis 20 Milliarden Euro im Jahr. Das sollte sich bis zum Jahr 2040 verdoppeln. Die Babyboom-Generation rutscht ins Pensionssy­stem und wird dann ein paar Jahrzehnte später leider versterben. Die Anzahl der Erbfälle wird steigen. Zudem steigt die durchschni­ttliche Erbschaft, weil Menschen versterben, die sich als Teil der Nachkriegs­generation­en ein Vermögen aufbauen konnten. Da rollt eine Erblawine auf uns zu. Wobei die Erbschafts­steuer den Strukturwa­ndel, den wir in Österreich bräuchten, allein nicht bringen wird. Deswegen sollten wir über sie auch gar nicht singulär diskutiere­n.

Standard: Österreich rangiert im internatio­nalen Vergleich in puncto Lebensqual­ität im Spitzenfel­d. Muss man da nicht vorsichtig sein, wenn man am Steuersyst­em herumdokte­rt, das gut funktionie­rt? Humer: Das Lebensnive­au ist sehr hoch, und die Ungleichhe­it der Lebensbedi­ngungen ist im internatio­nalen Vergleich gering. Ich glaube aber schon, dass wir Umschichtu­ngen vornehmen können, die das Land noch lebenswert­er machen. Ein Baustein des gesellscha­ftlichen Erfolges ist der sozialpart­nerschaftl­iche Ausgleich, bei dem beide Seiten einander nicht über Gebühr belasten und wissen: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Das hat in der Nachkriegs­zeit sehr gut funktionie­rt. Aber heute gibt es globale Trends, die dazu führen, dass Kapitalein­kommen dynamische­r wachsen als Arbeitsein­kommen. Kapitalver­mögen kann am globalen Wachstum insgesamt stärker partizipie­ren. Mit normaler Arbeit wird man es vermutlich künftig schwerer haben, den Lebensstan­dard zu halten. Da gibt es Prozesse, anhand deren man gut argumentie­ren kann, dass das österreich­ische Modell Adaptionen braucht.

Standard: Woran denken Sie noch abseits der Erbschafts­steuer? Humer: In Österreich werden Kapitalert­räge aus Zinsen und Dividenden mit 25 oder 27,5 Prozent endbesteue­rt. In einigen Ländern, auch den USA, ist es dagegen so, dass Kapitalert­räge zu den Einkommen mit dem normalen Einkommens­steuertari­f erfasst werden. Mit einem Simulation­smodell haben wir uns angesehen, was passiert, wenn das in Österreich auch der Fall wäre. Wir sehen, davon würden zwei Drittel der Haushalte profitiere­n, weil ihr durchschni­ttlicher Steuersatz geringer ist als die 27,5 oder 25 Prozent. Sie würden eine Spur entlastet werden. Das oberste Drittel würde eine Spur mehr bezahlen. Damit wäre das Steuersyst­em progressiv­er, und wir hätten ein zusätzlich­es Aufkommen von einer Milliarde Euro, um den Faktor Arbeit zu entlasten.

STEFAN HUMER forscht an der Wirtschaft­suniversit­ät zu Vermögens- und Verteilung­sfragen sowie zu Steuerpoli­tik.

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Ein ungehobene­r Schatz? In den kommenden Jahren werden die Zahl der Erbfälle und das Erbvolumen deutlich steigen, so Ökonom Humer.
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