May beschwört glänzende Zukunft nach dem Brexit
Die britische Premierministerin bemüht sich in ihrer programmatischen Rede um eine freundliche Stimmung. London wünscht sich eine Übergangsfrist für den EU-Ausstieg, in der das Land ohne Stimmrecht Mitglied im Binnenmarkt der Union bleiben würde.
Nach monatelangem Tauziehen im eigenen Kabinett hat die britische Premierministerin ihren harten Brexit-Kurs aufgeweicht. In einer vorab als wegweisend beschriebenen Grundsatzrede räumte Theresa May ein, Großbritannien werde nach dem EU-Austritt für eine in etwa zweijährige Übergangszeit ohne Stimmrecht Mitglied von Binnenmarkt und Zollunion bleiben. In dieser Zeit werde die Insel ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen, sagte die Regierungschefin in Florenz. Diese liegen bei rund 20 Milliarden Euro. „Es liegt in unser aller Interesse, dass die Verhandlungen erfolgreich sind“, mahnte May.
Im Gefolge ihrer Chefin reisten auch die Minister Philip Hammond (Finanzen), Boris Johnson (Äußeres) und David Davis (Brexit) in die Toskana – sichtbares Zeichen der Einigkeit im Kabinett, die bei einer Sondersitzung am Donnerstag ausgerufen worden war. Freilich dürfte es sich nur um einen vorübergehenden Waffenstillstand handeln. Hammond sowie eine Reihe jener Konservativen, die den EU-Verbleib befürworteten, unterstützen die Forderung der Wirtschaftslobby nach einer großen Nähe zum Binnenmarkt auch jenseits der Übergangsfrist, Zahlungen inbegriffen. Ihnen gelten Norwegen und die Schweiz als Vorbild – beiden erteilte May in Florenz eine Absage.
Johnson ohne Unterstützung
Hingegen wünschen sich EUFeinde wie Johnson oder Agrarminister Michael Gove eine klare Abkehr von den verhassten Institutionen. Johnsons Brexit-Manifest vom vergangenen Wochenende hatte zu Spekulationen geführt, der einstige Brexit-Vorkämpfer bereite seinen Rücktritt aus dem Kabinett und eine Kampfansage an May vor. Offenbar hat der einstige Londoner Bürgermeister dafür aber nicht die notwendige Unterstützung in der Fraktion.
Die seit der Wahl vom Juni empfindlich geschwächte Premierministerin übernahm in ihrer Rede die Stimmung von Johnsons Optimismus. Zwar stellten die Gespräche einen schwierigen Prozess dar, doch sehe die Zukunft für das Königreich ebenso wie für die EU gut aus, beteuerte May und zählte die Stärken ihres Landes auf: „ein weltweit beneidetes Rechtssystem“, „Offenheit für ausländische Investoren“, „Enthusiasmus für Innovationen“, „einige der besten Unis der Welt“, „ein großes Talent für Kreativität“und „ein unbezwingbares Gemüt“.
Ausführlich widmete sich die Regierungschefin den vielfältigen Positionspapieren, in denen Davis’ Brexit-Ministerium in den vergangenen Wochen die zukünftige Handels- und Sicherheitszusammenarbeit skizziert hatte. Demgegenüber hat EU-Chefunterhändler Michel Barnier, zuletzt bei einer Rede in Rom am Donnerstag, immer wieder auf sein Verhandlungsmandat hingewiesen: Zunächst müssten mit den Briten drei wichtige Themenfelder geklärt werden, ehe es um die Zukunft gehen könne. Dabei handelt es sich um den zukünftigen Status von gut drei Millionen EUBürgern in Großbritannien – für den May in Florenz Garantien abgab, sich aber nicht endgültig festlegte – sowie von rund einer Million Briten auf dem Kontinent, Londons finanzielle Verbindlichkeiten gegenüber Brüssel sowie den zukünftigen Status der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland.
Der konservative Dubliner Regierungschef Leo Varadkar hat be- reits angedeutet, ohne einen umfassenden britischen Lösungsvorschlag werde er weitergehenden Gesprächen nicht zustimmen. Die Entscheidung darüber trifft ein EU-Gipfel im Oktober.
Bei einem Besuch auf der Grünen Insel hatte der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, den Iren den Rücken gestärkt. „Wir werden nicht zulassen, dass Irland unter der briti- schen Austrittsentscheidung leidet“, sagte der frühere belgische Premierminister im Dubliner Parlament Dáil. Dass sich May einer Rede und Befragung im Brüsseler Parlament verweigert, ist vielen Abgeordneten sauer aufgestoßen.
In Bezug auf die Zahlungen in die Brüsseler Kasse nannte die Premierministerin in Florenz zwar keine konkrete Summe. Die in London genannte Zahl von rund 20 Milliarden Euro passt aber zu den britischen Verpflichtungen in Höhe von 32,6 Milliarden Euro, von denen etwa zwölf Milliarden in Landwirtschaft, Wissenschaft und Förderprojekte auf der Insel zurückfließen sollen. In Brüssel kursieren Rechnungen über britische Verbindlichkeiten, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro addieren.