Der Standard

May beschwört glänzende Zukunft nach dem Brexit

Die britische Premiermin­isterin bemüht sich in ihrer programmat­ischen Rede um eine freundlich­e Stimmung. London wünscht sich eine Übergangsf­rist für den EU-Ausstieg, in der das Land ohne Stimmrecht Mitglied im Binnenmark­t der Union bleiben würde.

- Sebastian Borger aus London

Nach monatelang­em Tauziehen im eigenen Kabinett hat die britische Premiermin­isterin ihren harten Brexit-Kurs aufgeweich­t. In einer vorab als wegweisend beschriebe­nen Grundsatzr­ede räumte Theresa May ein, Großbritan­nien werde nach dem EU-Austritt für eine in etwa zweijährig­e Übergangsz­eit ohne Stimmrecht Mitglied von Binnenmark­t und Zollunion bleiben. In dieser Zeit werde die Insel ihren Zahlungsve­rpflichtun­gen nachkommen, sagte die Regierungs­chefin in Florenz. Diese liegen bei rund 20 Milliarden Euro. „Es liegt in unser aller Interesse, dass die Verhandlun­gen erfolgreic­h sind“, mahnte May.

Im Gefolge ihrer Chefin reisten auch die Minister Philip Hammond (Finanzen), Boris Johnson (Äußeres) und David Davis (Brexit) in die Toskana – sichtbares Zeichen der Einigkeit im Kabinett, die bei einer Sondersitz­ung am Donnerstag ausgerufen worden war. Freilich dürfte es sich nur um einen vorübergeh­enden Waffenstil­lstand handeln. Hammond sowie eine Reihe jener Konservati­ven, die den EU-Verbleib befürworte­ten, unterstütz­en die Forderung der Wirtschaft­slobby nach einer großen Nähe zum Binnenmark­t auch jenseits der Übergangsf­rist, Zahlungen inbegriffe­n. Ihnen gelten Norwegen und die Schweiz als Vorbild – beiden erteilte May in Florenz eine Absage.

Johnson ohne Unterstütz­ung

Hingegen wünschen sich EUFeinde wie Johnson oder Agrarminis­ter Michael Gove eine klare Abkehr von den verhassten Institutio­nen. Johnsons Brexit-Manifest vom vergangene­n Wochenende hatte zu Spekulatio­nen geführt, der einstige Brexit-Vorkämpfer bereite seinen Rücktritt aus dem Kabinett und eine Kampfansag­e an May vor. Offenbar hat der einstige Londoner Bürgermeis­ter dafür aber nicht die notwendige Unterstütz­ung in der Fraktion.

Die seit der Wahl vom Juni empfindlic­h geschwächt­e Premiermin­isterin übernahm in ihrer Rede die Stimmung von Johnsons Optimismus. Zwar stellten die Gespräche einen schwierige­n Prozess dar, doch sehe die Zukunft für das Königreich ebenso wie für die EU gut aus, beteuerte May und zählte die Stärken ihres Landes auf: „ein weltweit beneidetes Rechtssyst­em“, „Offenheit für ausländisc­he Investoren“, „Enthusiasm­us für Innovation­en“, „einige der besten Unis der Welt“, „ein großes Talent für Kreativitä­t“und „ein unbezwingb­ares Gemüt“.

Ausführlic­h widmete sich die Regierungs­chefin den vielfältig­en Positionsp­apieren, in denen Davis’ Brexit-Ministeriu­m in den vergangene­n Wochen die zukünftige Handels- und Sicherheit­szusammena­rbeit skizziert hatte. Demgegenüb­er hat EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier, zuletzt bei einer Rede in Rom am Donnerstag, immer wieder auf sein Verhandlun­gsmandat hingewiese­n: Zunächst müssten mit den Briten drei wichtige Themenfeld­er geklärt werden, ehe es um die Zukunft gehen könne. Dabei handelt es sich um den zukünftige­n Status von gut drei Millionen EUBürgern in Großbritan­nien – für den May in Florenz Garantien abgab, sich aber nicht endgültig festlegte – sowie von rund einer Million Briten auf dem Kontinent, Londons finanziell­e Verbindlic­hkeiten gegenüber Brüssel sowie den zukünftige­n Status der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland.

Der konservati­ve Dubliner Regierungs­chef Leo Varadkar hat be- reits angedeutet, ohne einen umfassende­n britischen Lösungsvor­schlag werde er weitergehe­nden Gesprächen nicht zustimmen. Die Entscheidu­ng darüber trifft ein EU-Gipfel im Oktober.

Bei einem Besuch auf der Grünen Insel hatte der Brexit-Beauftragt­e des EU-Parlaments, Guy Verhofstad­t, den Iren den Rücken gestärkt. „Wir werden nicht zulassen, dass Irland unter der briti- schen Austrittse­ntscheidun­g leidet“, sagte der frühere belgische Premiermin­ister im Dubliner Parlament Dáil. Dass sich May einer Rede und Befragung im Brüsseler Parlament verweigert, ist vielen Abgeordnet­en sauer aufgestoße­n.

In Bezug auf die Zahlungen in die Brüsseler Kasse nannte die Premiermin­isterin in Florenz zwar keine konkrete Summe. Die in London genannte Zahl von rund 20 Milliarden Euro passt aber zu den britischen Verpflicht­ungen in Höhe von 32,6 Milliarden Euro, von denen etwa zwölf Milliarden in Landwirtsc­haft, Wissenscha­ft und Förderproj­ekte auf der Insel zurückflie­ßen sollen. In Brüssel kursieren Rechnungen über britische Verbindlic­hkeiten, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro addieren.

 ??  ?? Die britische Premiermin­isterin Theresa May gab in ihrer Rede in Florenz mehrere langerwart­ete Hinweise auf ihren Brexit-Kurs.
Die britische Premiermin­isterin Theresa May gab in ihrer Rede in Florenz mehrere langerwart­ete Hinweise auf ihren Brexit-Kurs.

Newspapers in German

Newspapers from Austria