Der Standard

„Die Rentenrefo­rm ist ein Brandbesch­leuniger“

Die Schweizer stimmen am Sonntag über die Zukunft ihrer Altersvors­orge ab. Es wird mit einem knappen Resultat gerechnet. Einer der Knackpunkt­e ist die Erhöhung für Neurentner um 70 Franken pro Monat.

- Klaus Bonanomi aus Bern

„Die Reform der Altersvors­orge ist ein Kompromiss und ein Werk der Solidaritä­t“, sagt der zuständige Innenminis­ter, Bundesrat Alain Berset, landauf, landab in Referaten und Interviews. Nach zwanzig Jahren Reformstau sei es an der Zeit, die Altersvors­orge zu modernisie­ren und an die heutigen Bedürfniss­e anzupassen. Die steigende Lebenserwa­rtung der Menschen führe dazu, dass die Altersvors­orge aus dem Gleichgewi­cht zu geraten drohe, so der sozialdemo­kratische Politiker.

„Diese Refom ist ein Brandbesch­leuniger. Der AHV-Ausbau mit der Gießkanne ist der falsche Weg“, warnte hingegen die FDPChefin Petra Gössi in der Boulevardz­eitung Blick. Die AHV, die Alters- und Hinterblie­benenversi­cherung, die in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden ist, gilt als das wichtigste Sozialwerk der Schweiz. Sie wird im Umlageverf­ahren über Lohnabzüge der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r finanziert und sorgt für eine Umverteilu­ng von Reich zu Arm, indem die Gutverdien­er viel mehr einzahlen, als sie je an Rente erwarten dürfen.

Neben dieser „ersten Säule“gibt es die obligatori­sche berufliche Vorsorge, in der jeder Angestellt­e für sich selbst seine künftige Pen- sion anspart. Allerdings greift dies erst ab einem Jahreslohn von über 21.000 Franken (gut 18.000 Euro); viele Teilzeitar­beitende oder Geringverd­iener haben deshalb keine berufliche Vorsorge. Und diese „zweite Säule“gerät zunehmend in Schieflage, weil das angesparte Kapital in den Pensionska­ssen langfristi­g angelegt werden und Rendite erwirtscha­ften muss, was im jetzigen Tiefzinsum­feld immer schwierige­r wird.

Die Vorlage zur Reform der Altersvors­orge will diese beiden Säulen stabilisie­ren. „Die Menschen in der Schweiz sollen sich darauf verlassen können, dass das Niveau der Altersrent­en erhalten bleibt. Dies erreicht die Reform mit einer ausgewogen­en Gesamtlösu­ng“, schreibt der Bundesrat denn auch in seiner Abstimmung­sbotschaft. Diese „Gesamtlösu­ng“ist ein komplizier­tes Puzzlespie­l aus vielen unterschie­dlichen Maßnahmen: So sollen die Renten in der zweiten Säule gekürzt werden, das AHV-Rentenalte­r der Frauen um ein Jahr auf 65 angehoben und die AHVRenten um 70 Franken (60 Euro) im Monat erhöht werden; finanziert werden soll dies unter anderem durch eine leichte Erhöhung der Mehrwertst­euer.

„Die Reform verhindert, dass die AHV im nächsten Jahrzehnt große Defizite machen muss. Ohne Gegenmaßna­hmen wären die Renten mittelfris­tig nicht mehr garantiert. Mit Einsparung­en und zusätzlich­en Einnahmen wird die AHV gesichert“, betont der Bundesrat in seiner Botschaft.

Regierung und Parlament arbeiteten sechs Jahre an dieser umfassende­n Altersrefo­rmvorlage; alle politische­n Lager mussten Kröten schlucken, und deshalb wird die Reformvorl­age von ganz links wie von ganz rechts zur Ablehnung empfohlen. Linke Gewerkscha­fter kritisiere­n die Erhöhung des Frauenrent­enalters, während die rechtskons­ervative SVP und die liberale FDP anstelle der solidarisc­hen AHV lieber die individuel­le Vorsorge stärken wollen.

Die christdemo­kratische CVP, Grüne, Sozialdemo­kraten und Gewerkscha­ften unterstütz­en die Reform. Gerhard Pfister, der Vorsitzend­e der CVP, betont, die leichte Erhöhung der AHV-Renten sei nötig, „weil längst nicht alle eine zweite Säule haben! 500.000 Frauen haben keine Pensionska­sse. Nur über die AHV erhalten diese eine spürbare Rentenverb­esserung.“In sozialen Fragen komme man an der Linken nicht vorbei. Deshalb habe die CVP Hand zu einem „fairen Kompromiss“geboten, so Pfister weiter.

Auch der traditione­ll bürgerlich ausgericht­ete Bauernverb­and steht für ein Ja ein, da auch viele Bauern zu den Wenigverdi­enern zählen, die keine berufliche Vorsorge haben und deshalb auf die AHV angewiesen sind. Ihnen käme der Ausbau der Altersvers­icherung zugute.

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Es gibt viele Rezepte, um gesund alt zu werden. Auch muss man sich das Alter leisten können. Die Schweizer Rentenrefo­rm, die am Sonntag vors Volk kommt, halten viele für schwer verdaulich.

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