Der Standard

Therapie, die ins Auge geht

Die Augenerkra­nkung Retinitis pigmentosa ist tückisch: Betroffene erblinden langsam. Forscher wollen nun mit den neuen Methoden der Optogeneti­k die intakten Zellen in der Netzhaut zu Lichtsenso­ren umbauen.

- Christian Wolf

Wien – Ein Licht der Hoffnung, das könnten diese Patienten wahrlich gut gebrauchen: In Österreich kämpfen 3000 bis 4000 Menschen mit einer schleichen­den Erblindung. Sie leiden an der genetisch bedingten, unheilbare­n Netzhauter­krankung namens Retinitis pigmentosa, bei der die Photorezep­toren nach und nach absterben. Zunächst erwischt es die Stäbchen. Die Erkrankten büßen dadurch ihre Sehfähigke­it in der Nacht ein. Im Verlauf der Erkrankung werden jedoch auch die im Tageslicht aktiven Zapfen dezimiert.

Es gibt eine Vielzahl von Behandlung­smöglichke­iten. Das Problem: Die meisten Therapien wie etwa eine Genersatzt­herapie stecken mehr oder weniger noch in den Kinderschu­hen. Und ein Teil der Behandlung­en macht auch nur dann Sinn, wenn man schon weit vor dem eigentlich­en Absterben der Photorezep­toren eingreift. Ein Lichtschei­n am Horizont könnte die Optogeneti­k sein, die eine Gentherapi­e mit Licht kombiniert, um Nervenzell­en in der Netzhaut anzuregen.

Massiver Eingriff

Bisher konzentrie­ren sich Forscher dabei auf die noch intakten Ganglienze­llen der Netzhaut, weil das medizinisc­h am einfachste­n ist. Eigentlich leiten die Ganglienze­llen visuellen Input von den Photorezep­toren an das Gehirn weiter. Doch nach der optogeneti­schen Behandlung sollen sie das tun, wofür normalerwe­ise die gesunden Stäbchen und Zapfen gedacht sind: elektrisch­e Signale als Reaktion auf Licht abfeuern. Zu diesem Zweck injizieren For- scher dem Auge ein Virus. Es soll den genetische­n Bauplan eines lichtempfi­ndlichen Proteins in die Ganglienze­llen schleusen, das später in den Ganglienze­llen hergestell­t wird. Bei dem Protein handelt es sich um den Lichtrezep­tor Kanalrhodo­psin, der ursprüngli­ch von einer Grünalge stammt. Wenn blaues Licht auf ihn trifft, öffnet der Kanal seine Pforten und lässt positiv geladene Teilchen durch die Membran in die Zelle einströmen und aktiviert diese.

Tierstudie­n haben gezeigt, dass der Ansatz grundsätzl­ich funktionie­rt und man das Augenlicht der blinden Tiere zumindest teilweise wiederhers­tellen konnte.„Optogeneti­sche Ansätze bei genetische­n Erkrankung­en der Netzhaut sind eine hervorrage­nde Idee“, sagt Ursula Schmidt-Erfurth, Vorstand der Universitä­tsklinik für Augenheilk­unde und Optometrie an der Med-Uni Wien. „Ein Grund ist, dass die Zellen der Netzhaut gut erreichbar für Lichtreize sind.“

Ähnlich sieht es der Biologe Volker Busskamp von der Technische­n Universitä­t Dresden, der 2017 eine Übersichts­arbeit zu dem Thema im Fachblatt Klinische Monatsblät­ter für Augenheilk­unde veröffentl­icht hat. „Der Vorteil von optogeneti­schen Therapien besteht darin, dass man auf noch intakte Zellen in der Netzhaut zurückgrei­ft.“Anders als bei einer Genersatzt­herapie könne man zudem die genetische­n Mutationen vernachläs­sigen, die als Krankheits­auslöser heute nur teilweise bekannt sind.

Derzeit läuft die erste klinische Studie der US-amerikanis­chen Biotechnol­ogie-Firma Retrosense mit Patienten im fortgeschr­ittenen Stadium von Retinitis pigmentosa. In erster Linie zielt die Studie auf die Sicherheit und Verträglic­hkeit des optogeneti­schen Ansatzes ab und hat noch nicht die Wirksamkei­t im Fokus. Bislang gibt es auch noch keine Ergebnisse in einer Fachveröff­entlichung. Dennoch ist Busskamp optimistis­ch: „Ich kann mir vorstellen, dass bei den Patienten, die eine ausreichen­de Dosis erhalten, genügend Kanalrhodo­psin in den Ganglienze­llen hergestell­t wird, damit diese angeregt werden.“

Immunprivi­legierter Raum

Allerdings reicht pures Raumlicht nicht aus, die Zellen anzuregen. Die Patienten müssen daher spezielle Brillen tragen, die die Lichtreize verstärken. Zudem haben die in der Studie verwendete­n Kanalrhodo­psine, die auf blaues Licht reagieren, einen weiteren Nachteil: „Auch andere Ganglienze­llen, die den Pupillenre­flex steuern, reagieren darauf“, sagt Volker Busskamp. „Das verringert letztlich den Lichteinfa­ll auf die Netzhaut.“

Ein weiteres Problem könnten Immunreakt­ionen darstellen – immerhin schleust man mit Kanalrhodo­psin ein körperfrem­des Protein in die Netzhaut ein. „Immunreakt­ionen sind allerdings nicht sehr wahrschein­lich“, sagt Ursula Schmidt-Erfurth. „Schließlic­h ist die Netzhaut ein immunprivi­legierter Raum, das heißt, es kommt hier nur zu einer physiologi­sch reduzierte­n Immunantwo­rt.“Und Volker Busskamp er- gänzt: „Die Gene für die Kanalrhodo­psine, die ja ursprüngli­ch von der Grünalge stammen, wurden auf den Menschen hin optimiert.“Ob es dennoch zu Immunreakt­ionen komme, müssten letztlich die klinischen Studien zeigen.

Um die Lichtempfi­ndlichkeit zu erhöhen und etwaige Immunreakt­ionen zu verringern, hat man übrigens im Tierversuc­h nicht nur Kanalrhodo­psine, sondern auch lichtempfi­ndliche Proteine direkt aus der Netzhaut wie Melanopsin­e getestet. „Es dauert aber zumindest bei Mäusen eine halbe Sekunde, bis diese von Licht aktiviert werden“, erklärt Busskamp. „Der Seheindruc­k ist entspreche­nd verschmier­t.“

Daher setzt man erst einmal auf die Kanalrhodo­psine. Vollständi­g wieder sehen werden die Patienten durch die derzeitige­n Ansätze allerdings nicht. Das Ziel ist bescheiden­er. Die Patienten sollen etwa in die Lage versetzt werden, zu erkennen, ob sie eine Straße gefahrlos überqueren können oder ob noch jemand anderes im Raum ist. „Die heutigen optogeneti­schen Methoden ermögliche­n außerdem nur Schwarz-Weiß-Sehen“, so Volker Busskamp. „Aber für die Patienten wäre das dennoch ein Zugewinn.“

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Das Augenlicht manipulier­en können: Die ersten Studien zu Gentherapi­e zeigen mögliche Wege gegen Erblindung auf.

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