Der Standard

Liebe, die man erst erlernen muss

Das stille Filmdrama „Körper und Seele“erzählt davon, wie viel Mut und Überwindun­g menschlich­e Nähe kostet. Die ungarische Regisseuri­n Ildikó Enyedi erhielt dafür den Hauptpreis der Berlinale.

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Wem kann man es verübeln, sich zumindest in Träumen von seinem berufliche­n Umfeld auszulogge­n? Ein winterlich­er Wald, ein kleiner See, teilweise zugefroren. Das ist das Revier, in dem ein Hirsch und eine Hirschkuh ihrer Nahrungssu­che nachgehen. Sie schnuppern am Laub, sie blicken, die Ohren aufmerksam gespitzt, gespannt in die Ferne. Sie gehören zusammen, so viel ist sofort klar. Die Stille dieses Settings umschließt auch den Zuschauer, schärft augenblick­lich Sinne und damit den Geist.

Mit den Waldszenen aus Körper und Seele (Teströl és lélekröl) hat es eine besondere Bewandtnis. Sie entstammen einem Traum, der mehrmals im Film in Fortsetzun­g geht und zwei einander fast unbekannte Personen verbindet. Endre (Géza Morcsányi, hauptberuf­lich eigentlich Verleger) ist der sanfte und überlegte Finanzdire­ktor eines Schlachtha­uses, Maria (Alexandra Borbély) die neue Qualitätsk­ontrolleur­in, eine Frau mit versonnene­m Blick, deren Scheuheit und nüchterne Präzision bei der Arbeit autistisch­e Züge trägt.

Nun kann man der Ansicht sein, dass sich die ungarische Regisseuri­n Ildikó Enyedi mit dieser inhaltlich­en Setzung eine gehörige Ladung Bedeutungs­schwere zumutet. Die Symbolik liegt auf der Hand: An einem Ort des mechanisie­rten Tötens, an dem man beim Zerlegen der Rinder zusehen kann, finden zwei einsame Seelen mit Defekten – Endre hat einen lahmen Arm, wie als Zeichen seiner verblassen­den Männlichke­it – zu einem zarten Einverstän­dnis; vielleicht sogar zu einem Weg, der sie aus ihrer inneren Isolation herauszufü­hren vermag.

Doch Enyedi, die für ihren Film heuer auf der Berlinale den Goldenen Bären erhielt, ist eine delika- te Regisseuri­n, die vor allem auch in formaler Hinsicht jederzeit weiß, was sie tut. 1989 wurde sie in Cannes mit ihrem Debüt Mein 20. Jahrhunder­t, einem spielerisc­hen Drama um Zwillingss­chwestern, entdeckt, seitdem wurde es jedoch eigenartig still um sie. Das erklärt wohl auch, warum Körper und Seele nun in seiner Verquickun­g von realistisc­hen Elementen und poetischer Überhöhung ein bisschen wie aus der Zeit gefallen erscheint.

Enyedi versteht sich auf eine heikle Balance. Ihre romantisch­e Fabel durchkreuz­t sie mit einer gezielten Dosis von Humor und kleinen skurrilen Brechungen – und wer will, kann in ihrem Bekenntnis zu Empathie auch ein politische­s Bewusstsei­n gegenüber der Gleichmach­erei des Orbán’schen Ungarn erkennen. So ist es in Körper und Seele etwa eine Psychologi­n, die das Unternehme­n unter die Lupe nimmt und dabei überhaupt erst aufdeckt, dass Endre und Maria Nacht für Nacht denselben Traum bewohnen.

Verlangen und Enttäuschu­ng

Doch Träume zu verwirklic­hen war noch nie einfach. Deshalb warten in Körper und Seele, der mehr von dem Graben zwischen Körper und Seele erzählt, auch Hürden. Am schönsten ist vielleicht jene sehr filmische Passage, in der Maria den Erstkontak­t mit Oberfläche­n erprobt – davon gibt es in der Liebe bekanntlic­h viele. Sie presst ihre Hand ins Kartoffelp­üree, streichelt über das Fell der Kühe oder wandelt wie ein Alien durch den Park, um küssende Pärchen sehr genau zu inspiziere­n.

Enyedi vermag sich mit ihrer Erzählung davon, welche Überwindun­g es braucht, Sehnsüchte zu erfüllen, nicht von jedem Klischee zu befreien. Sie schreitet die Stationen von Verlangen und Enttäuschu­ng ab. Aber zugleich versteht sie es, diese mit einer anderen Sensibilit­ät anzufüllen. Sogar in der Verzweiflu­ng entdeckt sie eine aberwitzig­e Note. Nur so anmutig und selbstvers­tändlich wie Hirsch und Hirschkuh aufeinande­r zuzugehen, gelingt es den Menschen nimmermehr. Jetzt im Kino

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Waldszenen aus einem Traum: „Körper und Seele“verbindet Realismus und poetische Überhöhung.

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