Wiener Konzerthaus: Die wilde Mähne des Salonorchesters
Wien – Entspanntes Erzählen ist aus der Mode gekommen, im häuslichen Bereich wie auch auswärts. Bei Orchesterkonzerten wird gerne Extremem vertraut: Versuchen traditionelle Klangkörper, durch kraftstrotzende Musik mit Muckis zu imponieren, bestürmen Jungensembles mit hyperdynamischer Interpretation, die so krass geschnitten ist wie die Trailer eines Actionthrillers.
Es gibt aber noch das gute alte Orchesterkonzert: Semyon Bychkov war mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai im Konzerthaus zu Gast, man erzählte Tschaikowskys 4. Symphonie mit bedächtiger Genauigkeit. Das Scherzo war ganz gezupfte Eleganz, die sich auch im Pianissimo nicht verlor; das Andantino in modo di canzone war aus Wärme und Empfindsamkeit gewebt. Okay: Die Unisono-Erregungswellen im Allegro con fuoco blieben doch eher flach.
Bychkov formte die Themen mit sanftem Herzen, kommod agierenden Streichern standen teils vorlaute Holzbläser gegenüber. Die Klarinette etwa dudelte mit einer Begleitfigur im zweiten Satz von Rachmaninows c-Moll-Klavierkonzert Kirill Gerstein zu, dessen Thema doch eigentlich viel interessanter gewesen wäre. Trotz seines pickelhart intonierten Arbeitsgeräts blieb der gebürtige Russe auch bei den Tuttistellen der Ecksätze fast unhörbar. Doch abgesehen davon harmonierte man wunderbar.
Show mit Substanz wurde anderntags von Nemanja Radulović (mit seinem Double Sens Orchestra) geboten. Den serbischen Geiger darf man als sympathischen Paradiesvogel vorstellen, der optisch an den frühen John Galliano erinnert. Die populären d-MollWerken von Bach waren interpretatorisch in den Ecksätzen des Doppelkonzerts BWV 1043 wild, gehetzt. Sogar der langsame Satz (Radulović spielte das Konzert zusammen mit Tijana Milošević) war ruhefrei. Überzeugender ein Potpourri: Radulović und seine virtuosen Kompagnons mutierten zum Salonorchester de luxe, das versiert von Khatschaturjans Säbeltanz zu John Willams’ Filmmusik zu Schindlers Liste switchte. Helle Begeisterung für den extremen Erzähler für die Jeunesse, die (noch bis 24. 9.) ihr Kick-off-Festival gibt. (end)