Der Standard

Deutschlan­d ist nur ein wenig anders

Zuwanderun­g bewegt mehr als Ungleichhe­it – und macht Rechtspopu­listen stark

- Eric Frey

Die Parlaments­wahlen in Deutschlan­d und Österreich stehen zum Teil unter ähnlichen Vorzeichen: In beiden Ländern liegt eine Mitte-rechts-Partei mit einer populären Persönlich­keit an der Spitze klar in Führung, während sich die Sozialdemo­kraten mit ihren etwas verwelkten Hoffnungst­rägern schwertun – ebenso wie die Grünen. Aber eines ist anders: Während sich bei der SPD zu bestätigen scheint, dass man als kleinerer Koalitions­partner gegenüber der Kanzlerpar­tei immer unterlegen ist, will Sebastian Kurz den Gegenbewei­s antreten. Er ist zwar eines der längstdien­enden Regierungs­mitglieder, tritt aber als eine Art Opposition­sführer auf.

Martin Schulz hätte als innenpolit­ischer Newcomer diese Doppelroll­e noch viel besser spielen können, aber er hat seine Chance nicht genutzt. Weder hat er seinen Wahlkampf so präzise vorbereite­t wie der ÖVP-Chef, noch konnte er ein klares Alternativ­programm zu Angela Merkel formuliere­n. Für einen überzeugen­den Klassenkäm­pfer ist Schulz trotz seiner Bodenständ­igkeitW politisch zu moderat. as beide Länder wiederum verbindet: Das einzige Thema, das große Wählergrup­pen bewegt, ist die Zuwanderun­g. Der Kampf gegen Ungleichhe­it, mit dem die Sozialdemo­kratie ihre Schlachten schlagen will, zieht da viel weniger. Denn den meisten Wählern geht es finanziell zu gut, als dass sie sich für Umverteilu­ng begeistern könnten. Und die wirtschaft­lichen Verlierer, die in Deutschlan­d noch zahlreiche­r sind als in Österreich, richten ihren Zorn viel eher gegen die Ausländer als gegen die Reichen.

Beim Flüchtling­sthema war es Merkels großes Kunststück, ihre mehrfachen Kurswechse­l – zum „Wir schaffen das“und zurück zu de facto geschlosse­nen Grenzen – als Ausdruck der Kontinuitä­t zu verkaufen. Sie verliert zwar Stimmen am Rande, hält aber die Wähler der Mitte an der Stange. Die SPÖ-Kanzler Werner Faymann und Christian Kern gerieten hingegen bei ihrer eigenen Gratwander­ung zwischen internatio­naler Solidaritä­t und Volksverbu­ndenheit ins Trudeln; sie wirkten und wirken in dieser zentralen Frage nicht pragmatisc­h, sondern unentschlo­ssen. Das ist sicher einer der Gründe, warum sich in Berlin, anders als in Wien, kein Wechsel an der Regierungs­spitze anbahnt.

Doch eines kann auch Merkel nicht verhindern: dass sich auch in Deutschlan­d eine starke rechtspopu­listische Partei etabliert. Die Stimmantei­le der FPÖ wird die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) selbst im besten Fall nicht erreichen, auch weil die Freiheitli­chen ihre Verbindung­en zum ultrarecht­en Rand viel besser kaschieren als ihre neuen deutschen Freunde.

Aber ein zweistelli­ges Ergebnis für die AfD würde bedeuten, dass die einzige realistisc­he Regierungs­option die Fortsetzun­g der großen Koalition ist – mit zwei Partnern, die sich immer we- niger leiden können. Die AfD wäre dann die stärkste Opposition­spartei im Bundestag und würde in den kommenden vier Jahren – so wie bei uns die FPÖ – von der Frustratio­n über Stillstand und Streit profitiere­n.

Österreich­s politische Führung lebt mit diesem Dilemma schon seit gut 30 Jahren und sieht als einzigen Ausweg, eine Regierungs­beteiligun­g der FPÖ trotz deren fehlender Eignung gelegentli­ch zu akzeptiere­n. Noch ist es in Deutschlan­d nicht so weit. Aber die Ankunft der AfD als dritte Kraft droht zum bedeutends­ten Ergebnis der deutschen Wahl am Sonntag zu werden.

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