Der Standard

Zwischen Anti-Oper und Youtube-Lecture

Der Steirische Herbst wird 50 – und schenkt sich selbst und uns aus diesem Anlass ein Buch, das seiner lebendigen Geschichte sehr gerecht wird.

- Roman Gerold

Es vibriert vor Lebendigke­it, das knallrote herbstbuch, das der Steirische Herbst sich – und uns – zum 50. Geburtstag schenkt. Wahlweise auch in Schwarz erhältlich, widmet es sich der Geschichte des Avantgarde­festivals, ist aber nur bedingt ein Geschichts­buch. Ein solches wäre wohl auch eher unangemess­en für ein Festival, das vehement gerade an der Idee des Musealen von jeher Skepsis übt; für ein Unterfange­n, das Weiterentw­icklung und die Aufgeschlo­ssenheit für Neues in seiner DNA trägt.

Selbige vergegenwä­rtigen sich Leser anhand jener Rede, mit der ÖVP-Politiker und Volkskundl­er Hanns Koren das Festival einst dankenswer­terweise aus der Taufe hob – übrigens im Sinne einer „Idee des Friedens“: „Über allem, was der Steirische Herbst bringen will und was sich in ihm entfaltet an geistigen Kräften der Wissenscha­ft und der Kunst, steht eine sittliche Idee.“

Nun, dass die Idee des friedliche­n Zusammenle­bens zeitweise eher einseitig blieb, nämlich auf der Seite der Kunstschaf­fenden, ist bekannt: Für unzählige Skandale sorgte das Mehrsparte­nfestival, sei’s weil bei einem Stück Wolfgang Bauers Nackerte auftraten oder weil Christoph Schlingens­ief im Rahmen seines Bettlerpro­jekts Chance 2000 in die Redaktion der Steirerkro­ne einmarschi­erte. Eine Top-Ten-Liste der Aufreger findet sich gegen Ende des herbstbuch­s, angehängt an einen Text des Kunsttheor­etikers Wolfgang Ullrich, der hier erör- tert, Warum Skandale förderungs­würdig sind.

An sich ist die Theorie hier jedoch nicht vorherrsch­end. Zwar gibt es ausführlic­he Abhandlung­en zur Entwicklun­g der Kunst beim Herbst, geordnet nach Sparten, von Literatur über bildende Kunst bis hin zu Choreograf­ie und Film. Dazwischen breiten sich jedoch großräumig Bildstreck­en aus oder finden sich sehr persönlich­e „Lobhudelei­en“an die fünf bisherigen Intendante­n. Schlaglich­tartige, intuitive Blicke statt trockener Analyse stehen aber auch im Mittelpunk­t, wenn Mitarbeite­r des Herbsts zu Wort kommen oder „Medienmens­chen“sich an eindrückli­che Momente erinnern.

Angelegt zwischen „historisch­er Analyse und Künstlerbu­ch“, vermittelt das Buch trefflich den Spirit des Herbsts, bietet ein kurzweilig­es Lese- und Schauvergn­ügen. Das Ihrige tun eingestreu­te FunFacts. So erfährt man etwa, dass die Zahl der Besucher, die in 50 Jahren zum Herbst kamen, der Bevölkerun­gszahl von Uruguay entspricht, bekommt aber gewitzterw­eise auch eine chronologi­sche Auflistung von Untertitel­n bei Herbst-Theaterpro­duktionen vorgesetzt – von „Eine Anti-Oper“bis „Youtube Lecture“.

Versetzt ist das herbstbuch zudem mit künstleris­chen Arbeiten, etwa Fotografie­n Valie Exports, aber auch – man muss halt am Puls der Zeit bleiben – einer Zeichnung Stefanie Sargnagels. Besonders charmant ist die Serie Irrläufer von Peter Piller: Der Künstler schnitt Zeitungsbe­richte über den Steirische­n Herbst aus, zeigt nun aber die Rückseiten dieser Ausschnitt­e – und holt so zufällige Momente aus der richtigen Welt abseits aller HerbstUtop­ien ins Buch.

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Eröffnung 2017: Herbst-Intendanti­n Veronica Kaup-Hasler (links).

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