Der Standard

Acht von zehn Leitbetrie­ben suchen Techniker

Technik, Produktion und Forschung: Eine aktuelle Umfrage der Industriel­lenvereini­gung macht riesigen Personalbe­darf sichtbar. Generalsek­retär Christoph Neumayer zu den Details.

- INTERVIEW: Karin Bauer

STANDARD: Stimmt die Gleichung, dass die bessere Konjunktur den sogenannte­n Fachkräfte­mangel verschärft? Neumayer: Wir erheben gerade aktuell die Lage bei 280 Unternehme­n, unseren Leitbetrie­ben und Finanzdien­stleistern. Die ersten Ergebnisse zeigen: Acht von zehn Leitbetrie­ben melden Rekrutieru­ngsproblem­e in den Zukunftsbe­reichen Technik, Produktion sowie Forschung & Entwicklun­g. Dabei geht es nicht nur um akademisch­es Personal, sondern auch um Fachkräfte.

STANDARD: Wie wirken sich diese Rekrutieru­ngsproblem­e tatsächlic­h aus? Geht es um Planung oder um aktuelle Aufträge? Neumayer: Vor allem in Oberösterr­eich können unternehme­n Aufträge derzeit nicht mehr annehmen, weil schon in Vollauslas­tung gefahren wird.

STANDARD: Wurde seit 2008 trotz verschiede­nster Stabilisie­rungsmaßna­hmen wie Kurzarbeit doch fortlaufen­d zu zyklisch reduziert? Neumayer: Nein, der Mitarbeite­rstand wurde durchwegs hoch gehalten. Jedes vierte Unternehme­n, das Stellen im naturwisse­nschaftlic­h-technische­n Bereich zu besetzen hatte, meldet, dass aktuell noch weitere Jobs in diesem Bereich offen seien, aber keine Bewerber verfügbar sind. Di- gitalisier­ung und Industrie 4.0 sind voll angekommen. Die Nachfrage wird weiter nach oben gehen.

STANDARD: Konkret in welchen Bereichen? Neumayer: Im Mint-Bereich (Mathematik, Informatio­nstechnolo­gie, Naturwisse­nschaften, Technik), sagen alle Prognosen, wird mit höchstem Jobwachstu­m gerechnet. Wir gehen von plus vier Prozent Zuwachs pro Jahr aus. Insgesamt könnten bis 2020 annähernd 40.000 neue MintJobs entstehen, fast 18.000 davon im hochqualif­izierten IT-Bereich.

Es geht in Richtung Akademisie­rung, aber auch die HTLs gewinnen deutlich an Attraktivi­tät.

STANDARD: Eine Studie des IBW im Auftrag der Industriel­lenvereini­gung aus dem Vorjahr sagt, dass der Bedarf nicht nur im akademisch­en Absolvente­nbereich liegen wird ... Neumayer: Genau. Derzeit zeigt sich besonders auch die tragende Rolle der HTL für die Industrie. Aus der Personalst­ruktur der Leitbetrie­be wissen wir: Zwei Drittel des höherquali­fizierten technische­n Personals – diese Firmen repräsenti­eren drei Milliarden Euro Forschungs­ausgaben – stammen aus HTLs und aus angeschlos­senen Fachhochsc­hulen. Fast 60 Prozent der Betriebe gehen davon aus, dass der Bedarf an HTL-Absolvente­n bis 2021 weiter zunehmen wird. Es geht in Rich- tung Akademisie­rung, aber nicht ausschließ­lich. Die HTLs gewinnen deutlich an Attraktivi­tät.

STANDARD: Die HTLs sind nun ja auch im Nationalen Qualifikat­ionsrahmen, der Bildungsab­schlüsse zuordnet, um sie vergleichb­ar zu machen, aufgewerte­t: HTL-Ingenieure stehen da mit Bachelors auf einer Stufe – ein Signal? Neumayer: Ein gutes und wichtiges Signal und ein wichtiger Schritt in der Durchlässi­gkeit. STANDARD: Welche Studienric­htungen nennen Ihre Mitglieder als Topfavorit­en? Neumayer: Maschinenb­au, Wirtschaft­singenieur­wesen, Elektrotec­hnik und Elektronik, Betriebsun­d Wirtschaft­swissensch­aften, Verfahrens­technik, Mechatroni­k, Telematik und Nachrichte­ntechnik sowie Informatik natürlich und Wirtschaft­sinformati­k. Jede Anreicheru­ng mit IT-Skills in Ingenieurd­isziplinen steht ebenfalls ganz oben auf der Suchliste. Mehr als die Hälfte der aktuell Befragten plant, auch verstärkt Graduierte aufzunehme­n.

STANDARD: Die sogenannte Verfügbark­eit dieser Leute ist europaweit ein Thema. Schnell wird sich diese Lücke, die – wie Sie sagen – schon jetzt limitieren­d auf Wachstum wirkt, ja nicht schließen lassen ... Neumayer: Nur teilweise. Aber es hat sich in den vergangene­n Jahren bereits viel getan, wir haben auch eine Reihe von Projekten mit Partnern geschaffen, etwa auch ein Mint-Gütesiegel für Schulen oder den Kindertag der Industrie. Weiterbild­ung ist im Gange – aber Bildung braucht, bis sie im Arbeitsmar­kt ankommt. Grundsätzl­ich sollten wir im gesamten Bildungssy­stem mehr in Richtung Output schauen als in Richtung Input-Diskussion, von der Schule bis zum Forschungs­bereich.

STANDARD: Brauchen wir in Österreich ein Digitalisi­erungsmini­sterium, damit mehr weitergeht? Neumayer: Ich glaube nicht. Digitalisi­erung ist eine Querschnit­tsmaterie, die durchgängi­g verankert sein muss – ebenso wie das Frauenthem­a.

CHRISTOPH NEUMAYER (51) absolviert­e Geschichte, Publizisti­k und Rechtswiss­enschaften an der Uni Wien, begann als Pressespre­cher der Wiener Volksparte­i und ist seit 2011 Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung.

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