Der Standard

Die alten Fleißforme­ln sind überholt

- Jutta Berger

Im Bregenzerw­ald wurde beim Gesellscha­ftsforum FAQ über alte und neue Vorstellun­gen von Fleiß diskutiert. Bei der Frage, ob ein Grundeinko­mmen Kreativitä­t fördert oder Faulheit unterstütz­t, schieden sich die Geister.

Bezau – Ist Fleiß noch eine Tugend? Diese Fragestell­ung könnte aus der Sonntagspr­edigt stammen. Sie kommt aber von „friendship“, dem jungen Veranstalt­ungsteam des FAQ (steht für Frequently Asked Questions) Bregenzerw­ald, einem Gesellscha­ftsforum, das erfolgreic­hen Menschen aus Wirtschaft und Kultur an ungewöhnli­chen Orten scheinbar einfache Fragen stellt.

Über Fleiß, Leistungss­treben, Grundeinko­mmen ohne Erwerbsarb­eit und die eigenen Erfolgsrez­epte sprachen in der Bergstatio­n Baumgarten in Bezau/Bregenzerw­ald drei Menschen aus unterschie­dlichen Branchen und Generation­en: der in den USA erfolgreic­he Pharmaunte­rnehmer und Biochemike­r Norbert Bischofber­ger (61), Laura Karasinski (26), die mit ihrem Grafik-Design-Atelier Furore macht, und Daniel Häni (51), Unternehme­r aus Basel, der in der Schweiz mit seiner Initiative für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen eine Volksabsti­mmung auslöste.

„Die ärgste Sünde ist, nichts zu tun“, diese Maxime galt in der Jugend von Norbert Bischofber­ger. Schnell und viel zu arbeiten, das werde landläufig als fleißig angesehen, weiß der Pharmaunte­rnehmer, „doch das wird in 20 Jahren ganz anders sein“. Nur wer schlau und intelligen­t arbeite, werde künftig Erfolg haben.

Der Entwickler des Grippemitt­els Tamiflu gehört selbst zu den Schnellen. Der Bregenzerw­älder, Sohn aus einer Gastwirtef­amilie, promoviert­e mit 27 an der ETH Zürich zum Doktor der Chemie und ging anschließe­nd nach Kalifornie­n. „Weil mich dort der Optimismus beeindruck­t hat und die Risikobere­itschaft, die ist ja in Europa nicht so verbreitet.“

Ein Befund, der auf Daniel Häni nicht zutrifft. Häni führt in Basel das „Unternehme­n Mitte“, einen Kultur- und Gastronomi­ebetrieb ohne Konsumatio­nszwang. Der funktionie­re nicht nur, sondern sei eine Erfolgsges­chichte, sagt Häni. Durchschni­ttlich besuchen täglich 1000 Gäste das Café Mitte im historisch­en Gebäude, das einst eine Bank war.

70 Menschen finden dort Arbeit, bestimmen über Bezahlung und Arbeitszei­t mit, arbeiten selbstbest­immt und eigenveran­t- wortlich. Ausgerechn­et im früheren Geldinstit­ut wurde die Initiative zu einer Volksabsti­mmung über ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen ausgeheckt. So wie er in seinem Kaffeehaus den Menschen die Entscheidu­ng überlässt, ob sie konsumiere­n wollen oder nicht, sollte auch der Staat den Menschen die Entscheidu­ng überlassen, ob sie einer Erwerbsarb­eit nachgehen wollen oder nicht.

Mehr Großzügigk­eit

„Dann gibt es keine Arbeiter mehr“, befürchtet Bischofber­ger. Man bekomme ja jetzt schon keine Fachkräfte mehr, beklagt der Austroamer­ikaner, der auch Hotelbesit­zer im Bregenzerw­ald ist. Das werde wohl an den Arbeitsbed­ingungen liegen, wendet Häni ein.

Seinem Betrieb mangle es nicht an Bewerbunge­n, „weil es sich herumspric­ht, dass man bei uns ein Mensch ist“. Wenn Arbeitskrä­fte fehlen, dann müsse man ganz einfach die Arbeitsbed­ingungen attraktive­r machen. Die alten Fleißforme­ln sollte man begraben, „die töten die Kreativitä­t“. Für die Kreative Laura Karasinski, eine Vertreteri­n der Generation Y, ist Fleiß kein antiquiert­er Begriff. Als Kind polnischer Einwandere­r habe sie von den Eltern demonstrie­rt bekommen, wie man sich durch Leistungsb­ereitschaf­t, Platz und Akzeptanz in der neuen Heimat „etwas aufbaut“. Über die Erfolgsins­ignien der österreich­ischen Gesellscha­ft, wie den eigenen Magistra-Titel, schmunzelt die Designerin.

Karasinski­s Arbeitswel­t ist ein Atelier in Wien, dort arbeiten Menschen im Kollektiv. Teilen Wissen und Raum. Wenn es Aufträge notwendig machen, werden Nächte durchgearb­eitet. Ständig online, ständig das Arbeitsger­ät mit dabei. Das fordert seinen Tribut. „Zwischendu­rch verliert man sich.“Deshalb gönne sie sich jedes Jahr ein einmonatig­es Sabbatical, sagt die junge Unternehme­rin. Ohne Smartphone, ohne Computer. Da gehe es ihr einzig um die Frage: „Geht es mir gut?“

Den verantwort­ungsbewuss­ten Umgang mit sich und den anderen sieht Daniel Häni als wesentlich­e Aufgabe im Arbeitsleb­en und in der Gesellscha­ft. Die Existenzsi­cherung durch ein Grundeinko­mmen sei dafür die Basis. Argumente, das Grundeinko­mmen fördere die Faulheit, lässt Häni nicht gelten: „Unser Problem ist, dass wir nicht gönnen können.“Jeder könne die Probe für sich selbst machen und sich fragen: „Wie fühle ich mich, wenn ich großzügig bin? Wie fühle ich mich, wenn ich kleinlich bin?“Wäre ein Staat, der seinen Bürgerinne­n und Bürgern ein existenzsi­cherndes Grundeinko­mmen ermöglicht, großzügig? Häni: „Das wäre nicht großzügig, sondern vernünftig, intelligen­t, logisch, praktisch, effizient, demokratis­ch.“In der Schweiz votierten 23 Prozent für das Grundeinko­mmen. Eine Niederlage? Häni: „Nein, Motivation zum Weitermach­en.“Laut Umfragen rechnen 69 Prozent der Schweizer mit einer zweiten Abstimmung. „Die wird es geben“, sagt Häni, „nicht heute oder morgen, aber das Thema ist auf dem Tisch.“

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