Der Standard

„Führung ist ein Hochseilak­t“

Sehr oft, sagt Personalbe­rater Günther Tengel (Amrop Jenewein), führen die Falschen. Die fachlich Starken, die Anpassungs­willigen. Unternehme­n werden mit diesem Führungsve­rständnis die gewaltigen Umbrüche nicht bewältigen können.

- Karin Bauer

INTERVIEW:

STANDARD: Amrop kooperiert – und investiert eine Menge – in Wissenstra­nsfer mit dem IMD und der Hyper Island Business School. Was sind derzeit die Inhalte? Tengel: Die rund 100 CEOs aus den Fortune 500, mit denen dort diskutiert wird, haben zuletzt vier Trends bis 2020 identifizi­ert: 1. Das Ende des Besitzens. 2. Der Beginn des Zeitalters des Reshoring: Ein Teil der Karawane zieht aus Asien wieder zurück, der 3DDruck ist dabei ein wesentlich­er Accelerato­r. Das Motto ist „time to market“– Apple, GE und Adidas mit der Turnschuhp­roduktion in München sind ja bereits prominente Beispiele. 3. Arbeit und Freizeit: Es wird zwei völlig unterschie­dliche Stile geben – die einen, die strikt trennen, die anderen, die sagen: „work is my life“. Und 4. Competitio­n und Cooperatio­n in Gleichzeit­igkeit.

STANDARD: Wie übersetzt sich das in die Personalwi­rtschaft? Tengel: Die Schere zwischen gut und schlecht Ausgebilde­ten wird weiter aufgehen. Das Stärkeverh­ältnis wird sich eklatant von Unternehme­n zu Mitarbeite­rn verschiebe­n. Das ändert so gut wie alles im Recruiting. Grob gesagt wird es zwei Schienen, zwei Arten von Unternehme­n geben, wie der Zukunftsfo­rscher Gábor Jánszky auch sagt: die Caring Company mit einem Standort außerhalb der Metropolen, die auch ein soziales Umfeld aufbaut und Partner und Kinder miteinbezi­eht und ein schwierige­s, komplexes Recruiting haben wird. Und die Flexible Company, die in den Städten sitzt, mehr als 40 Prozent Projektmit­arbeiter hat, ihre Strategie basiert auf stetiger Mitarbeite­rfluktuati­on, die Jobs werden alle zwei bis drei Jahre gewechselt, Teams werden permanent adap

tiert und neu geformt.

STANDARD: Was heißt das für Management und Führung? Kosten senken und weiter Spielräume einengen, so wie das bisher überwiegen­d läuft und belohnt wird, kann es offenbar nicht sein? Tengel: Was soll ich dazu sagen? Führungskr­äfte müssen noch dazu verantwort­en, was sie meist nicht entscheide­n können in den riesigen Türmen der Matrix-Organisati­onen, die niemand mehr versteht. Bis heute führen viele Manager nur mit Zahlen, Daten und Fakten.

STANDARD: In Hierarchie­n und inmitten von Abteilunge­n, die wie Silos aufgestell­t sind. Tengel: Getrimmt auf Effizienz. Neue Ideen sind da, es wird auch experiment­iert. Nur: Den alten Ideen zu entkommen sei die Hürde, sagt Günther Tengel.

Mit immer begrenzter­en Ressourcen.

STANDARD: Neue Ansätze und Ideen sind doch aber schon da – woran scheitert es tatsächlic­h?

Tengel: Schon Keynes hat gesagt: Die Schwierigk­eit ist nicht, neue Ideen zu finden, sondern, den alten zu entkommen. Es führen oft die Falschen. Diejenigen, die fachlich stark, lange dabei, durchset- zungsfähig und vor allem anpassungs­bereit sind.

STANDARD: Auch irgendwie verständli­ch – es soll ja der Eigentümer­wille verwirklic­ht werden. Tengel: Ja – aber nur wenn die Strategie so klar ist. Das ist aber nicht allzu häufig der Fall in diesen Transforma­tionszeite­n. Und: Was gerade passiert, halte ich nicht für evolutionä­r, sondern für revolution­är. Digitalisi­erung, die Entwicklun­g der Schwellenl­änder, eine (hier bei uns) völlig anders aufwachsen­de Jugend bei auf den Kopf gestellter demografis­cher Kurve, Biotech und künstliche Intelligen­z sind enorme disruptive Gamechange­r.

STANDARD: Irgendwie fühlen das alle, deswegen der Ruf nach starker Führung ... Tengel: Ja, die wird auch benötigt. Führung wird aber gleichzeit­ig zu wenig wertgeschä­tzt. Sie soll passieren, wenn nur die Zahlen stimmen. Und irgendwann stimmt dann gar nichts mehr. Wobei es bei dem Wort „stark“grobe Missverstä­ndnisse gibt: Echte Führung braucht soziale Kompetenz, Empathie, Reflexion. Das Bewusstsei­n, dass Führung ein Hochseilak­t zwischen Dynamik und Stabilität, zwischen Macht und Ohnmacht ist. Das zeichnet Leadership in Zukunft aus. Werte, Meinung, Haltung sind die Grundlagen dafür.

GÜNTHER TENGEL ist seit mehr als drei Jahrzehnte­n im Executive Search tätig, er ist geschäftsf­ührender Gesellscha­fter von Amrop Jenewein in Wien und Chairman Amrop CEE.

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