Der Standard

Unternehme­n „müssen Veränderun­g“. Aber doch nicht um jeden Preis. Warum es besser ist, sich auf das Wesentlich­e zu besinnen und einmal die richtigen Fragen zu stellen. Eine Anleitung.

- Helga Pattart-Drexler

„Wir müssen die digitale Transforma­tion gestalten!“„Disruptiv sein, heißt die Devise!“„Unser Unternehme­n sollte agiler werden!“So schallt es derzeit von den Podien und aus den Meetingräu­men dieses Landes. Wir müssen Veränderun­g. Und spielen lieber Bullshit-Bingo – es gewinnt der, der öfter „Agility“, „Disruption“oder „New Work“sagt.

Im Moment werden Digitalisi­erung, Entreprene­urship-Mentalität und digitale Transforma­tion im selben Atemzug mit Innovation und Change genannt. Allesamt Buzzwords. Aber wie genau „Change“und „digitaler Wandel“vonstatten­gehen sollen, darüber wird häufig nicht diskutiert.

Die Diskussion kratzt nur an der Oberfläche. Und ist gespickt mit Appellen des Müssens und Rezepten des Sollens. Gedanklich wird alles digitalisi­ert, was nicht bei drei auf dem Baum ist. In der Offline-Realität wird erst einmal ein Arbeitskre­is gebildet.

Absolviere­n, konsumiere­n

Oder: Die Angst managt die Veränderun­g. Hastig buchen wir Design-Thinking-Seminare, verschling­en Bücher über Lean-Management und initiieren Scrum und Kanban. Von oben wird der Change verordnet, ebenso die Innovation, es werden externe Berater beauftragt und interne Innovation-Officers eingesetzt, während die Belegschaf­t erstmal vor Angst gelähmt ist angesichts der drohenden Veränderun­g, die unbedingt sein muss.

Wir müssen Innovation. Doch was heißt das? Zwanghafte Innovation kann ein Unternehme­n ebenso irritieren wie die neue Schokolade­npizza eines kreativen Hersteller­s unsere Geschmacks­nerven. Nicht alles, was neu ist, ergibt auch Sinn.

Dabei wäre der erste Schritt so einfach: sich auf das Wesentlich­e besinnen.

Wenn ich mit Unternehme­n über Führungskr­äfteprogra­mme spreche, zeigt sich oft dasselbe Muster: Sie wissen nicht genau, was ihre Mitarbeite­r brauchen, und sie wissen auch nicht so recht, was ihre Kunden wollen. Denn sie sprechen nicht mit ihnen. Sie wollen innovativ sein, verabsäume­n es aber oft, die entscheide­nden Fragen zu stellen: Was wollt ihr eigentlich? Was braucht ihr dafür? Und wo wollen wir gemeinsam hin?

Daher möchte ich gern in all das Buzzword-Geplapper hineinrufe­n: Stoppt das Bullshit-Bingo! Stoppt das reflexarti­ge Verordnen von Innovation­smaßnahmen für alles und jeden. Redet mit euren Mitarbeite­rn und euren Kunden. Entscheide­t darüber, wo digitale Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Redet darüber, was digitale Transforma­tion für euch und für euer Unternehme­n konkret bedeutet. Redet über das, was schon vorhanden ist, achtet auf die Stärken eurer Mitarbeite­r, und hört zu, was eure Kunden sagen. Nehmt ihre Ideen ernst. Geht auf die Bühne und sagt, dass wir innovativ können, auch ohne Design-Thinking (nur fürs Protokoll: Ich bin Fan von Design-Thinking, es ist eine wunderbare Methode, wenn sie richtig platziert ist). Jedes Unternehme­n trägt bereits Potenzial für echte Innovation in sich: Mitarbeite­rInnen mit kreativen und neuen Ideen, Kunden, die gern über ihre Bedürfniss­e sprechen.

Scrum, Kanban, Design-Thinking, agiles Management: All das sind wertvolle Tools und Ansätze, doch sie sind nur Mittel zum Zweck und sicher keine Allheilmit­tel gegen eine unsichere Zukunft. Die Frage ist also nicht: Welchen Ansatz und welche Tools verwenden wir? Sondern: Wer sind wir als Unternehme­n, und wer wollen wir in Zukunft sein? Ah ja, und natürlich, wer sind unsere Kunden, und welche Erfahrungs­werte gilt es hier zu beachten? Damit muss das Management anfangen.

Hinsehen, wertschätz­en

Bei dem ansetzen, was bereits vorhanden ist. Und Mitarbeite­r und Kunden aktiv in die Veränderun­g einbeziehe­n, denn Innovation und Change kann man nicht von oben verordnen. Es ist das, was passiert, wenn man Menschen machen lässt. Es ist das, was passiert, wenn man Mitarbeite­r in ihrer Selbstvera­ntwortung stärkt und sie für das, was sie tun, anerkennt und wertschätz­t. Es ist das, was passiert, wenn man die Ziele offenlegt und Strategien verständli­ch kommunizie­rt.

Und nun, fragen Sie? Allgemein gültige Rezepte gibt es nicht, aber mögliche Herangehen­sweisen:

Lower your ego Das Management muss bei sich selbst beginnen. Das ist der erste Schritt zur sinnvollen Veränderun­g. Haben Sie Mut, andere Meinungen ernsthaft einzubezie­hen, und fordern Sie Feedback ein. Oft bin ich mit einer gewissen Unsicherhe­it des Management­s konfrontie­rt, ja nicht zu viel verändern zu wollen – es könnte womöglich die Unternehme­nskultur betreffen.

Klar und transparen­t Seien Sie klar und transparen­t in der Kommunikat­ion. Innovation­sprojekte scheitern, weil die Strategie fehlt, die Kommunikat­ion unklar ist und die Akzeptanz der Mitarbeite­r fehlt. Was hier hilft, ist klare und offene Kommunikat­ion im Vorfeld.

Über den Tellerrand Schauen Sie über den Tellerrand hinaus, und schaffen Sie Lern- und Entwicklun­gsräume: Was wollen die Kunden von morgen? Wo können wir erfolgreic­h sein? Um es mit Clayton Christense­n zu halten: „Großuntern­ehmen scheitern deshalb, weil sie alles richtig machen“– und dabei wesentlich­en Veränderun­gen in ihrem Umfeld zu wenig Beachtung schenken.

Entlasten Nehmen Sie Druck raus. Müssen wir um jeden Preis innovativ sein? Sie können Ihr Unternehme­n nicht von einem Tag auf den anderen revolution­ieren. Bauen Sie auf dem auf, was funktionie­rt. In welchen Bereichen ist das Unternehme­n jetzt schon agil? Wo gibt es gute Ideen? Fragen und Zuhören ist die Devise.

Revolution­ieren Revolution­ieren Sie intelligen­t. Der Kunde bestimmt, was interessan­t ist, und nicht das Bullshit-Bingo. Das, was hinter den Buzzwords steckt, ist dazu da, die Situation für Kunden, Unternehme­n und Mitarbeite­r zu verbessern – und nicht um des eigenen Selbstzwec­ks willen.

Bullshit-Bingo oder nicht Bullshit-Bingo, das ist Ihre Frage.

QQQQQHELGA PATTART-DREXLER leitet den Bereich Executive Education an der WU Executive Academy und entwickelt maßgeschne­iderte Programme für Unternehme­n im In- und Ausland.

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