Der Standard

Neue Zeitrechnu­ng für den Bundestag

Erstmals seit Jahrzehnte­n dürfte nach der Wahl am Sonntag mit der AfD eine Partei rechts der Union in den Bundestag einziehen, vielleicht sogar als drittstärk­ste Kraft. Man kann erwarten, dass der Ton durch die von Nationalko­nservative­n dominierte Fraktio

- ANALYSE: Birgit Baumann

Es war, unlängst in Magdeburg, wieder mal sehr düster. Auf dem Platz vor dem Dom stand abends im Regen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und sprach über Deutschlan­d. Er hatte nichts Gutes zu berichten: „Unser einst intakter Staat befindet sich in Auflösung“, sagte er. Und: „Die Sicherheit­slage gerät aus den Fugen.“

Er erzählte von „Brutstätte­n des Terrorismu­s“in Deutschlan­d und forderte: „Dieses Land braucht große politische Wenden.“Vor der Bühne gab es Zuspruch, eine Frau hielt ein Schild mit der Aufschrift „Lieber Schweineme­tt als Mohamed“hoch. Am Rande des Platzes brüllten die Gegendemon­stranten: „Hau ab!“und „Nazis raus!“.

Schreien wird keiner, wenn die AfD nach der Wahl in den Bundestag einzieht. Aber der Wunsch nach maximaler Distanz zu den neuen Volksvertr­etern besteht auch im politische­n Berlin. Das bedeutet: Niemand will im Bundestag neben der AfD sitzen.

Sie wird den Einzug schaffen, da sind sich alle sicher. Einige Institute sehen sie schon an dritter Stelle hinter Union und SPD. Je nachdem, wie stark die AfD abschneide­t, könnte sie zwischen 60 und 90 Abgeordnet­e stellen.

Man darf sich auf einiges gefasst machen, manchen Kandidaten eilt bereits ihr Ruf voraus. Jens Meier, Richter am Landgerich­t Dresden und auf Platz zwei der sächsische­n Landeslist­e, erklärte den angebliche­n „Schuldkult“der Deutschen für „endgültig beendet“, warnt vor der „Herstellun­g von Mischvölke­rn“in Europa und sieht die NPD als „einzige Partei, die immer entschloss­en zu Deutschlan­d gestanden hat“.

Markus Frohnmaier, Bundeschef der Jungen Alternativ­e, kündigte den „linken Gesinnungs­terroriste­n“an: „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemiste­t.“Dubravko Mandic, Rechtsanwa­lt aus Tübingen, nennt Ex-US-Präsident Barack Obama einen „Quotennege­r“und bezeichnet Flüchtling­shilfe als „modernen Reichsarbe­itsdienst“.

Nicht vor der Regierung

Doch natürlich müssen die Neuen irgendwo im Plenum ihr Plätzchen finden. Rechts von der Union böte sich – vom Rednerpult aus gesehen – an, es würde zur politische­n Ausrichtun­g passen. Doch Unionsabge­ordnete wollen nicht so nahe bei den neuen Rechten sitzen. Zudem ist ganz rechts der Platz vor der Regierungs­bank. Bei jedem Kameraschw­enk über selbige wäre die AfD prominent im Bild. Die etablierte­n Parteien sind noch am Tüfteln.

Parlamenta­rische Erfahrunge­n mit rechten Parteien auf Bundeseben­e gibt es praktisch nicht. Die „Deutsche Partei“(DP) und der „Bund der Heimatvert­riebenen und Entrechtet­en“(BHE) waren nur in den Fünfzigerj­ahren im Bundestag vertreten, dann verschwand­en sie in der Versenkung.

Wie also umgehen mit den Neuen? Das ist die Frage, die viele jetzt schon umtreibt, und es beginnt mit der Benennung. Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t spricht von „Halbnazis“, Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) legt noch einen drauf und sieht „Nazis im Reichstag“. Die AfD selbst hat naturgemäß eine andere Selbsteins­chätzung und sieht sich in der „bürgerlich­en Mitte“angesiedel­t.

„Man kann die Bandbreite der AfD nicht mit einem Wort einfan- gen“, sagt Oskar Niedermaye­r, Politologe an der Freien Universitä­t Berlin. Es gebe ein paar „Marktliber­ale“, die gemäßigter auftreten. Dazu gehört Parteichef­in Frauke Petry, die in den vergangene Monaten aber parteiinte­rn an Bedeutung verloren hat – zugunsten von Spitzenkan­didatin Alice Weidel, einer Ökonomin, die jedoch auch nicht mit harschen Worten hinterm Berg hält.

„Mahnmal der Schande“

Die Nationalko­nservative­n werden von Co-Spitzenkan­didat Alexander Gauland angeführt. Bei Höcke, dem „Star“der Partei, sieht Niedermaye­r „eindeutig rechtsextr­emes Gedankengu­t“. Zur Erinnerung: Höcke ist derjenige, der das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Mahnmal der Schande“bezeichnet und vom „lebensbeja­henden afrikanisc­hen Ausbreitun­gstyp“spricht.

Der Konfliktfo­rscher Wilhelm Heitmeyer, Gründer des Instituts für interdiszi­plinäre Konflikt- und Gewaltfors­chung der Universitä­t Bielefeld, sieht überhaupt einen „neuen Parteitypu­s“, er nennt ihn einen „autoritäre­n Nationalra­dikalismus“. Heitmeyer warnt da- vor, die AfD pauschal als rechtsextr­em einzustufe­n: „Das wäre eine Verharmlos­ung. Die eigentlich­e Gefahr ist, dass sie an vielen Stellen in bürgerlich­e Milieus eingedrung­en ist, sodass man bereits von einer rohen Bürgerlich­keit sprechen kann.“

Parallelen zur FPÖ

In der Inszenieru­ng ähnelt die vergleichs­weise noch junge AfD stark der FPÖ. „Es wird der Konflikt Volk gegen Elite geschürt, wobei die AfD-Elite vorgibt, aufseiten der Bürger zu stehen“, sagt Heitmeyer und sieht noch weitere Parallelen: „Die Ziele lauten: Abschottun­g versus offene Gesellscha­ft und geschichtl­iche Verklärung versus Aufklärung.“

Zudem knüpften AfD und FPÖ an gefühlte soziale und politische Kontrollve­rluste in der Bevölkerun­g an und „suggeriere­n Bürgerinne­n und Bürgern, dass sie ihnen wieder die Kontrolle über ihr Land zurückgebe­n könnten“– etwa durch Grenzschli­eßungen, eine restriktiv­e Asylpoliti­k oder Bekämpfung des Islam. „Hol Dir Dein Land zurück“ist einer der Wahlslogan­s der AfD in diesem Bundestags­wahlkampf.

Dass nun auch in Deutschlan­d eine rechte Partei vor dem Einzug ins Parlament steht, die Bundesrepu­blik also verspätet die Entwicklun­g vieler europäisch­er Länder nachvollzi­eht, wundert Heitmeyer nicht. Er forscht seit 1982 zu Rechtsextr­emismus, Gewalt und gruppenbez­ogener Menschenfe­indlichkei­t. Die Ergebnisse der Langzeitst­udien sind unter dem Titel Deutsche Zustände bei Suhrkamp erschienen.

„Wir haben schon 2002 ein Potenzial von 20 Prozent für Rechtspopu­listen gemessen“, sagt Heitmeyer. Danach seien die Zahlen zurückgega­ngen, aber nach der Finanzkris­e 2008 wieder gestiegen. Immer mehr Menschen fühlten sich von der Politik nicht mehr wahrgenomm­en und einflusslo­s auf das politische Geschehen – bis in die eigene Biografie.

Ignoranz der Eliten

Doch, so Heitmeyers Kritik: „Die politische­n Eliten haben dies nicht wahrgenomm­en.“Es war ja zunächst niemand da, der diese Wut und diesen Frust aufgegriff­en hat – bis Pegida und die AfD kamen. Jetzt, so Heitmeyer, „gibt es einen politische­n Ort und Gesichter“. Nicht zufällig hat die AfD das Wort „Alternativ­e“im Namen. Sie zielt damit auf die angebliche „alternativ­lose“Politik der etablierte­n Parteien ab und signalisie­rt: Wir sind anders.

Besonders deutlich ist dies in der Asylpoliti­k, die AfD verlangt eine Schließung der Grenzen. Zudem sagt sie: raus aus der Eurozone, Kündigung des Pariser Klimaabkom­mens, Senkung des Strafmündi­gkeitsalte­rs von 14 auf zwölf Jahre, Nein zur doppelten Staatsbürg­erschaft. Und: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d.“Minarette und der Ruf des Muezzins sollen verboten werden.

Schafft die AfD tatsächlic­h aus dem Stand den Sprung auf den dritten Platz im Bundestag, dann ist sie – im Falle einer weiteren großen Koalition – Opposition­sführerin. Diese Rolle wollen die Spitzenkan­didaten Gauland und Weidel ausfüllen, sie würden die Fraktion gerne gemeinsam führen.

Querschuss von Frauke Petry

Doch auch Parteichef­in Petry werden Ambitionen nachgesagt. Ob es zu einer Kampfabsti­mmung um den Vorsitz kommen wird, ist noch unklar. Das Verhältnis zwischen Petry und dem Duo Gauland/Weidel ist schlecht. Petry warf den beiden auf den letzten Wahlkampfm­etern diese Woche vor, sie würden viele bürgerlich­e Wähler abschrecke­n. Angesichts des Lobes von Gauland für deutsche Wehrmachts­soldaten und einer Weidel zugeschrie­benen EMail, in der Spitzenpol­itiker als „Schweine“beschriebe­n werden, erklärte Petry: „Ich kann verstehen, wenn Wähler entsetzt sind.“

Es hält sich das Gerücht, Petry und ihr Ehemann Marcus Pretzell, ein AfD-Politiker aus NordrheinW­estfalen, wollten sich nach der Wahl mit vergleichs­weise gemäßigten Getreuen von den nationalko­nservative­n Fundamenta­loppositio­nellen um Gauland abspalten. Gaulands Verbündete werden in der Fraktion allerdings voraussich­tlich die Mehrheit bilden.

Langfristi­g sieht Politologe Niedermaye­r für die AfD ohnehin nur dann Erfolgscha­ncen, wenn sie sich klar vom rechtsextr­emen Rand distanzier­t. Denn: „Sonst werden sich die bürgerlich­en Protestwäh­ler wieder abwenden.“

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Alice Weidel (li.) und Alexander Gauland führen die AfD als Spitzenkan­didaten in die Bundestags­wahl und wollen Fraktionsc­hefs werden. Parteichef­in Frauke Petry (re.) werden auch Ambitionen nachgesagt.
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