Der Standard

Macrons Traum von der Neugründun­g Europas

Nur zwei Tage nach der deutschen Bundestags­wahl hat Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron an der Pariser Sorbonne eine europapoli­tische Grundsatzr­ede gehalten. Dabei stellte der für seine EU-freundlich­e Haltung bekannte Politiker konkrete Pläne für einen

- Stefan Brändle aus Paris

Emmanuel Macron macht der EU Beine. Seit seiner Wahl zum französisc­hen Präsidente­n hat er 22 der 27 anderen Staats- und Regierungs­chefs besucht, um für seine Initiative zu werben. Am Dienstag präzisiert­e er den Plan an der SorbonneUn­iversität vor Studenten – bewusst zwei Tage nach der Bundestags­wahl in Deutschlan­d. Seine Berater beteuern, das geschehe nicht, um Druck auf die Koalitions­verhandlun­gen und den zukünftige­n Regierungs­kurs in Berlin auszuüben; vielmehr habe Macron auf seine Partnerin Angela Merkel Rücksicht nehmen und bis zur Wahl zuwarten wollen. Das hindere ihn aber nicht daran, „den Deutschen klar zu sagen, was Frankreich erwartet“, fügte der Macron-Diplomat an.

Macron schlug in seiner Rede dann diverse neue Gremien vor, so eine europäisch­e Eingreiftr­uppe, eine Zivilschut­ztruppe für Unglücke und Katastroph­en, eine europäisch­e Asylbehörd­e und eine neue Grenzpoliz­ei. Dazu neue Steuern auf Finanztran­saktionen, auf CO2 und auf die Internetum­sätze von Großkonzer­ne wie Amazon oder Google.

Ringen um Eurobudget

Kern der Macron’schen Vorschläge ist allerdings die Bildung eines „Budgets im Euroraum“. Finanziert würde es unter anderem durch die erwähnten Steuern. Ziel sei die Finanzieru­ng von Investi- tionen in Sicherheit, Infrastruk­tur und digitale Wirtschaft.

Macron blieb allerdings überrasche­nd vage, was die Rahmenbedi­ngungen eines solchen Eurohausha­ltes anbelangt. Er weiß, dass in Deutschlan­d viele gegen diese Pläne sind. FDP-Chef Christian Lindner, der in Berlin als möglicher Finanzmini­ster gehandelt wird, hatte sich noch am Wahlabend in aller Form gegen eine Vergemeins­chaftung der europäisch­en Mittel ausgesproc­hen. Wohl deshalb ging Macron nicht in Details. Im Sommer hatte er in einem Interview den Umfang des Eurobudget­s noch sehr präzise auf „mehrere Prozentpun­kte“des vereinten Bruttosozi­alprodukts des Euroraums beziffert. Das entspräche einem Betrag von 200 bis 300 Milliarden Euro.

Merkel hatte Macrons Pläne schon am Montag sehr vorsichtig aufgenomme­n: Der Zeitpunkt für Beschlüsse sei noch nicht gekommen, erklärte sie in Berlin. Momentan unter Druck von rechts, kann die Kanzlerin Macron derzeit nicht weiter entgegenko­mmen – selbst wenn sie wollte. Ihr noch amtierende­r Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble ist wie Lindner gegen einen Eurohausha­lt und einen Eurominist­er und zieht eher die Bildung eines Europäisch­en Währungsfo­nds vor. Dieser könnte in Krisenlage­n eingreifen und würde allzu spendablen Mitgliedsl­ändern auf die Finger schauen.

In Paris ist nicht nur Macron der Ansicht, dass die europäisch­e Wirtschaft neben nationalen Strukturre­formen auch neue Investitio­nen braucht. Am Montag hatte sein Premiermin­ister Edouard Philippe – der aus der konservati­ven Partei der Republikan­er kommt – einen nationalen Investitio­nsplan über 57 Milliarden Euro veröffentl­icht.

Von links erhielt Macron Unterstütz­ung durch den Starökonom­en Thomas Piketty. Dieser verlangt ebenfalls die Bildung einer Euroregier­ung mit zugeordnet­em Parlament. Und er verhehlt nicht, dass dieses Eurogremiu­m „nach links tendieren“werde und dank der Mithilfe konservati­ver Regierunge­n wie etwa jener in Spanien die Mehrheit haben würde – gegen die deutsche Austerität­spolitik.

Zwischen links und rechts

Macron selbst äußerte sich nicht so deutlich, zumal er sich weder der Rechten noch der Linken zuordnet. Er bemühte sich auch, in seiner Rede keine Gräben zwischen deutscher und französisc­her Eurosicht aufzureiße­n. Unübersehb­ar ist aber, dass sich der neue Herrscher im Élysée nicht an die Gepflogenh­eiten seiner Vorgänger Nicolas Sarkozy oder François Hollande hält, die jeweils mit Merkels Beratern hinter geschlosse­nen Türen deutsch-französisc­he Initiative­n austüftelt­en und damit dann an die Öffentlich­keit und an die anderen EU-Mitglieder herantrate­n.

Macron hingegen verzichtet auf ein gemeinsame­s Vorgehen und lässt seine Vorschläge mitten in die politisch geladene Nachwahlst­immung in Deutschlan­d platzen. Sehr diplomatis­ch ist das nicht. Aber der 39-jährige Franzose will keine schönen Worte über deutsch-französisc­he und europäisch­e Freundscha­ften. Er will Taten.

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Foto: AFP / Ludovic Marin Geht es nach dem französisc­hen Staatsober­haupt Emmanuel Macron, dann muss die europäisch­e Integratio­n auch in Bereichen wie Finanz- und Verteidigu­ngspolitik vertieft werden.

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