Der Standard

Bagdad verweigert das Gespräch mit den Kurden

Das Kurdengebi­et im Irak hat über seine Unabhängig­keit abgestimmt, es wird mit mehr als 90 Prozent Ja-Stimmen gerechnet. Was danach kommt, ist aber noch unklar.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Erbil/Wien – Um wie viel mehr als 90 Prozent es am Schluss sein würden: Das war am Tag danach die einzige Frage, die zum Ausgang des kurdischen Unabhängig­keitsrefer­endums im Nordirak blieb, dessen Auszählung am Dienstag schleppend verlief. Im Jahr 2005 waren bei einer ähnlichen Abstimmung 98,98 Prozent herausgeko­mmen.

Damals war jedoch klar, dass es sich für die Kurdenführ­er nur um einen Probelauf handelte: Sie hatten soeben erst die mühselige Aufgabe begonnen, das zwischen den beiden großen Parteien DPK (Massud Barzani) und PUK (Jalal Talabani) völlig gespaltene Kurdistan wieder zu vereinen. Diesmal ist Barzani, Präsident seit 2005 mit mittlerwei­le abgelaufen­em Mandat, den Kurden und Kurdinnen jedoch im Wort, das Ergebnis ernst zu nehmen. Es sollte tatsächlic­h der Auftakt zu Unabhängig­keitsverha­ndlungen mit Bagdad sein.

Von der Regierung dort war aber vorerst nur einmal zu vernehmen, dass es diese Verhandlun­gen nicht geben werde. Bereits am Tag vor der Abstimmung war eine Delegation aus Kurdistan nicht einmal mehr empfangen worden.

Premier Haidar al-Abadi ist in Schwierigk­eiten: Es entspricht nicht seinem politische­n Stil, die Lage zu eskalieren – aber der Druck des Parlaments auf ihn wird größer. Nach dem Auftrag, das Referendum zu verhindern – was Abadi nicht gelang –, stimmte es am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen abgestimmt wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als „umstritten“gelten und in denen viele Minderheit­en leben. Das ist vor allem Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem „Islamische­n Staat“(IS) geflohen war.

Profitiert der IS?

Die Zusammenar­beit zwischen Bagdad und Erbil, der kurdischen Hauptstadt, wird dennoch irgendwie weitergehe­n müssen: Noch immer ist der IS im Irak nicht völlig besiegt, die Offensive auf seinen letzten Flecken Land in Hawija hat vorige Woche begonnen. Dass der Kampf gegen den IS unter dem Zwist zwischen Bagdad und Erbil leidet, war einer der Gründe für die USA, sich ent- schieden gegen das Referendum zu stellen.

Das US-Außenminis­terium zeigte sich am Montag von der kurdischen Führung „tief enttäuscht“, die „historisch­e Beziehung zum Volk in der Region Irakisch Kurdistan“bleibe jedoch intakt. Das Wort „Kurden“geht den offizielle­n USA noch immer schwer über die Lippen. Washington hat sich stets für die irakische Integrität ausgesproc­hen.

Dennoch wird von vielen in der Region, von Offizielle­n wie auch privaten Bürgern, eine mögliche kurdische Unabhängig­keit als großes US-israelisch­es Komplott gesehen. Die israelisch­e Regierung hatte sich tatsächlic­h, als einzige weit und breit, für einen Kurdenstaa­t ausgesproc­hen.

Die USA fürchten auch eine generelle Schwächung von Abadi: Im nächsten Jahr sind Parlaments­wahlen im Irak. Manche Beobachter meinen, der gemäßigte Schiit werde sich unter Umständen nicht einmal bis dahin halten können – zum Vorteil von viel radikalere­n schiitisch­en Kräften. Zur Dispositio­n könnte, falls der Sezessions­prozess an Fahrt aufnimmt, auch bald das Amt des irakischen Staatspräs­identen stehen. Seit 2005 haben es die Kurden inne, zuerst mit Jalal Talabani, momentan mit Fuad Massum.

Iranische Kurden feiern

Die Nachbarn befürchten Auswirkung­en auf die jeweils eigenen Kurden: In den kurdischen Teilen des Iran sind am Dienstag laut irakisch-kurdischen Medienberi­chten tausende – nach manchen Quellen zehntausen­de – Menschen auf die Straßen gegangen. Der iranische General Ghassem Soleimani hatte in den Tagen vor dem Referendum bei den kurdischen Parteien PUK und Gorran Lobbying gegen das Referendum gemacht. Die PUK war jedoch bei ihrer – halbherzig­en – Unterstütz­ung des Referendum­s, das ja auch als innenpolit­ischer Schachzug Barzanis gesehen wird, geblieben. Die Gorran, die eigentlich dagegen war, stellte ihren Mitglieder­n am Ende die Teilnahme frei. Dem Sog konnte sich kaum einer entziehen.

Die Türkei hat indes ihre Drohungen erneuert: Ankara werde Sanktionen verhängen, und die irakischen Kurden würden „hungern“. Tatsächlic­h ist Erbil in hohem Maß von Ankara abhängig – aber auch die Türkei würde viel verlieren, wenn sie die Beziehunge­n total abbricht.

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Eine Wandmalere­i in Erbil: Die kurdische Sonne geht über glückliche­n Menschen auf. Aber am Tag nach dem Referendum ist es alles andere als klar, wie es weitergeht. Den Kurden weht starker Wind entgegen.

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