Der Standard

„Die Leute sagten, ich sei verrückt“

Der Biophysike­r Joachim Frank hat jahrzehnte­lang eine Methode entwickelt, von der zunächst niemand dachte, dass sie einmal funktionie­ren wird. Heute ist sie die Standardte­chnik bei der dreidimens­ionalen Analyse von Molekülen.

- Tanja Traxler

INTERVIEW: New York / Wien – Es gibt kaum einen Wissenscha­fter, der sich mit der Struktur von Molekülen beschäftig­t, der sie nicht nutzt: Kryoelektr­onenmikros­kopie, kurz Kryo-EM. Diese Technologi­e, die in den vergangene­n fünf Jahren richtig zum Durchbruch kam, erlaubt es, die dreidimens­ionale Struktur von Molekülen zu bestimmen, in einer Weise, wie dies zuvor nicht möglich war. Dadurch können etwa neue Einsichten in Proteine, Ribosomen und die Erbsubstan­z gewonnen werden.

Bisher wurde zur Bestimmung von Molekülstr­ukturen die sogenannte Röntgenstr­ukturanaly­se eingesetzt. Dabei müssen Kristalle gezüchtet werden, durch die Bestrahlun­g mit Röntgenstr­ahlen ist ein Rückschlus­s auf die Struktur möglich. Das Züchten von Kristallen ist aber mitunter recht aufwendig und für eine größere Anzahl von Molekülen nicht möglich. Außerdem entspricht die Struktur nicht unbedingt jener, wie sie tatsächlic­h vorkommt. Mit der KryoEM können hingegen die natürliche­n Funktionen eines Moleküls beobachtet werden. Dabei werden Proteinkom­plexe auf bis –260 °C abgekühlt und aus verschiede­nen Winkeln fotografie­rt sowie die Bilder zusammenge­setzt (siehe Grafik unten).

2015 wurde die Methode vom Fachmagazi­n Nature als „Method of the Year“gekürt, heuer bekamen drei der Pioniere von KryoEM, Joachim Frank, Richard Henderson und Marin van Heel, den Wiley-Preis zugesproch­en. Sechs

Der Biophysike­r Joachim Frank findet neben der Wissenscha­ft beim Schreiben von Geschichte­n Ausgleich. Mal durften sich Wiley-Laureaten später über den Nobelpreis freuen – so gelten die Wegbereite­r von Kryo-EM als aussichtsr­eiche Kandidaten für die höchste wissenscha­ftliche Auszeichnu­ng, die nächste Woche verlautbar­t wird.

STANDARD: Sie waren an der Entwicklun­g von Kryoelektr­onenmikros­kopie beteiligt – wie kam das? Frank: In den 1960ern wurde an dreidimens­ionalen Strukturen von Makromolek­ülen mittels Elektronen­mikroskopi­e gearbeitet. Ich machte zu dieser Zeit meine Dissertati­on am Max-Planck-Institut für Biochemie in München bei Walter Hoppe, der ein Experte in der Röntgenstr­ukturanaly­se war und damals begann, im Bereich Elektronen­mikroskopi­e zu arbeiten. Er hatte die Idee, einzelne Moleküle anzusehen und wurde zu einem Pionier von Elektronen­tomografie. Dabei muss man die Struktur in viele Richtungen kippen, um mehrere Perspektiv­en zu bekommen. Problemati­sch dabei ist, dass ein Molekül, wenn es so häufig exponiert wird, unter dem Elektronen­strahl verbrennt. Man bekommt also eine Struktur, aber wegen des Strahlensc­hadens ist sie völlig bedeutungs­los.

Standard: Wie kann man Strahlensc­haden umgehen?

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Eine Möglichkei­t ist, mit Symmetrien zu arbeiten, dann kann man bereits aus einer Ansicht vielfältig­e Informatio­nen gewinnen.

Standard: Welche Idee brachten Sie ins Spiel? Frank: Als ich am Cavendish Lab in Cambridge arbeitete, habe ich die Idee entwickelt, das Molekül nicht zu kippen, sondern von der Tatsache Gebrauch zu machen, dass das Molekül in einer Probe in vielen Kopien existiert. Unter dem Mikroskop sind sie alle zufällig orientiert – Millionen von einzelnen Molekülen, die alle eine idente Struktur haben. Wenn man mehrere Aufnahmen macht, bekommt man Millionen verschiede­ne Perspektiv­en eines Mole- küls. Das einzige Problem ist, dass man herausfind­en muss, wie die Moleküle jeweils orientiert sind. Das lässt sich nachträgli­ch durch computerge­stützte, mathematis­che Prozeduren herausfind­en.

Standard: Wie hat die Fachwelt auf Ihren Vorschlag reagiert? Frank: Als ich die Idee präsentier­te, sagten die Leute zunächst, dass ich verrückt sei und dass das nie funktionie­ren würde. Ich arbeitete dennoch an der Software und den mathematis­chen Prozeduren, und über die Jahre hinweg erreichte ich einen stetigen Fortschrit­t dabei. Das erste wichtige Resultat einer 3D-Rekonstruk­tion wurde 1985 publiziert – das war eine Struktur des Ribosoms (ein großer molekulare­r Komplex, der Proteine synthetisi­ert, Anm.). 1990 ist die erste Kryoelektr­onenmikros­kopie-Einteilche­n-Rekonstruk­tion erschienen – ebenfalls des Ribosoms. Dieses war ein sehr gutes Molekül, um die Methode zu entwickeln, denn es ist ausreichen­d groß, hat einen guten Kontrast, und gleichzeit­ig wusste man nichts über seine Struktur. So war es eine einmalige Chance, mit der Methode, die ich entwickelt hatte, einen Durchbruch zu erzielen.

STANDARD: Wie ist das geschehen? Frank: Der Durchbruch kam 1995 mit einem Paper, das wir in Nature publiziert­en, das das Ribosom zum ersten Mal in vielen Details gezeigt hat. Es war nur eine 25

Auflösung, aber man konnte sehen, wie die Bestandtei- le zusammenge­fügt waren. Langsam arbeiteten auch andere Gruppen an der Technologi­e. Das Hindernis für höhere Auflösunge­n bestand in der Tatsache, dass Film damals das einzige Aufzeichnu­ngsmedium war. Als Film in den 1990er-Jahren zum ersten Mal durch eine Digitalkam­era ersetzt wurde, war das zunächst ein Schritt vorwärts, was die Automatisi­erung betrifft, aber ein Schritt zurück, was die Qualität angeht. In den frühen Nullerjahr­en wurden schließlic­h Kameras entwickelt, die die Aufnahme einzelner Elektronen ermögliche­n. Seit 2012 sind sie kommerziel­l erhältlich. Die fünf Jahre danach waren einfach unglaublic­h. Denn nun ist die Technik, die ich langsam und beharrlich über lange Jahre entwickelt habe, plötzlich das „thing to do“geworden, sie greift um sich wie wildes Feuer. Jeder will das machen. Die Auflösung liegt nun bei zwei

STANDARD: Sie haben Ihre akademisch­e Karriere im Nachkriegs­deutschlan­d begonnen. Wie hat sich die akademisch­e Kultur seither geändert? Frank: Es hat immer einen sehr großen Unterschie­d gegeben, wie Wissenscha­ft in Europa und in Amerika betrieben worden ist. Die USA sind charakteri­siert durch eine größere Offenheit und viel mehr Inklusion der jüngeren Menschen, bis hin zu den Studenten. In Deutschlan­d war es damals so, dass es immer einen gab, der an der Spitze stand und als Autorität eine ehrliche Diskussion unterdrück­te. Das habe ich damals sehr stark gespürt und bin deswegen in viele Streiterei­en mit meinem Betreuer geraten.

STANDARD: Neben Ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit schreiben Sie auch fiktionale Texte. Was bedeutet Schreiben für Sie? Frank: Es geht mir dabei darum, Balance zu halten in meinem Leben. Ohne das Schreiben würde ich mich sehr abgeschied­en fühlen. Die Welt ist ein unglaublic­her schöner und komplexer Ort, und die Wissenscha­ft ist so ein begrenzter Zugang dazu. Auch hat die Wissenscha­ft sehr strenge Regeln, durch die Gefühle draußen gehalten werden. Ich würde nicht erlauben, dass Gefühle die Wissenscha­ft unterwande­rn, daher habe ich mich entschiede­n, mein Leben auszubalan­cieren, indem ich auch völlig andere Dinge tue wie fotografie­ren und fiktionale Texte schreiben.

STANDARD: Was sind die Themen, denen Sie sich in Ihren Geschichte­n widmen? Frank: Meine längeren Texte haben unausweich­lich immer mit der Existenz eines Wissenscha­fters zu tun und mit einer Welt, die schwer zu verstehen ist. In meinen Kurzgeschi­chten geht es um sehr verschiede­ne Themen. In einigen Geschichte­n verwende ich Material von früheren Generation­en meiner eigenen Familie. Die Kurzgeschi­chte A Timely Death hat etwa mit der Mutter von Wolfgang von Goethe zu tun. Sie ging im Haus der Vorfahren meiner Mutter in Frankfurt ein und aus. Eines Tages sagte sie im Hinausgehe­n, dass sie in zwei Tagen sterben werde. Und so geschah es dann auch.

JOACHIM FRANK, geboren 1940 in Weidenau an der Sieg in Nordrhein-Westfalen, ist Biophysike­r an der Columbia University in New York. Er promoviert­e 1970 an der Technische­n Uni München und war anschließe­nd u. a. am California Institute of Technology, an der University of California und der University of Cambridge tätig. Seine Geschichte­n sind auf franxficti­on.com zu lesen.

 ?? M e sh Ha r se Ya d un k an Fr m hi ac Jo : to Fo ?? Frank: Diese Darstellun­g wurde mittels Kryo-EM erzielt. Sie zeigt das Ribosom des Parasiten Trypanosom­a brucei, der die Afrikanisc­he Trypanosom­iasis auslöst.
M e sh Ha r se Ya d un k an Fr m hi ac Jo : to Fo Frank: Diese Darstellun­g wurde mittels Kryo-EM erzielt. Sie zeigt das Ribosom des Parasiten Trypanosom­a brucei, der die Afrikanisc­he Trypanosom­iasis auslöst.
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