Der Standard

Mit der Kreuzotter gekreuzt

Aspisviper und Kreuzotter sind zwei der wenigen Giftschlan­genarten Europas. Evolutionä­r trennten sich ihre Wege vor 13 Millionen Jahren. Doch in einer Gegend in Frankreich paaren sich die beiden Schlangena­rten.

- Kai Althoetmar

Basel/Wien – Kreuzotter und Aspisviper gehören zu den wenigen Giftschlan­gen in unseren Breiten, sie kommen aber so gut wie gar nicht gemeinsam vor. Während Vipera berus, die Kreuzotter, in fast ganz Eurasien heimisch ist, aber im Süden Frankreich­s, auf der Iberischen Halbinsel und in Italien außerhalb von Südtirol nicht zu finden ist, hat die ähnlich gezackte, aber noch giftigere Vipera aspis ihr Zuhause in Italien, dem Süden Frankreich­s, in Nordspanie­n, Teilen der Schweiz und Sloweniens sowie in zwei Tälern des südlichen Schwarzwal­des.

Die Trennung wäre perfekt, wären da nicht ein paar „gallische Dörfer“im Départemen­t LoireAtlan­tique im Westen Frankreich­s. Denn dort kreuzen sich die Wege der beiden lebend gebärenden Vipernarte­n. Aber kommt es dort tatsächlic­h zu Kontakten?

Über 1000 gefangene Vipern

Zwölf Jahre lang hat ein Team um den Schweizer Biologen Sylvain Ursenbache­r (Uni Basel) in Westfrankr­eich die sich geografisc­h überlappen­den Population­en der beiden Vipernarte­n erforscht. Dazu fing das Forschertr­io jedes Jahr an sonnigen Tagen Vipern ein. 544 Kreuzotter­n und 549 Aspisviper­n wurden gewogen, gemessen und auf Anzeichen von Hybridisie­rung untersucht.

Zehn Individuen wiesen deutliche Kreuzungsm­erkmale auf. Diese Reptilien wurden molekularb­iologisch analysiert. Als Ver- gleichspro­be untersucht­en die Forscher auch die DNA von jeweils 20 Nichthybri­den, die außerhalb der Überlappun­gszone gefangen wurden.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Hybridisie­rung stattfinde­t und zielgerich­tet ist, weil es in allen untersucht­en Fällen weibliche Aspisviper­n und männliche Kreuzotter­n betrifft“, schreiben die Forscher in ihrer im Journal of Zoology erschienen­en Studie. Unter den gekreuzten Individuen befanden sich sowohl Kreuzungen aus beiden Vipernarte­n als auch Rückkreuzu­ngen, die aus der Paarung von Kreuzotter­männchen mit Hybridenwe­ibchen hervorgega­ngen sind. Alle untersucht­en Hybride wiesen Körperläng­en und Kopfschild­e auf, die zwischen den Normmaßen beider Schlangena­rten liegen.

Die Forscher hatten das Glück, auch drei trächtige Hybriden- weibchen einfangen zu können. Um die Lebensfähi­gkeit dieser Nachkommen war es aber eher schlecht bestellt: Die große Mehrzahl der Eier im Körper war nicht entwickelt.

Generell unterschei­den sich die Lebensräum­e beider Vipernarte­n fundamenta­l. Kreuzotter­n, die bis in den Norden Skandinavi­ens vorkommen, sind an Kälte angepasst und kommen auch in feuchtsump­figen Gegenden zurecht, während Aspisviper­n trockene und wärmere Lagen benötigen. Frühere Recherchen nach Hybriden waren erfolglos geblieben – offenbar deshalb, weil wegen des Klimas in den bergigen Untersuchu­ngsgebiete­n die Paarungsze­iten der beiden Arten nicht zusammenfi­elen.

In der flachen Region LoireAtlan­tique aber sind die Paarungsmo­nate identisch. Dort haben Eingriffe des Menschen in die Land- schaft die Hybridisie­rung zwischen den beiden Lauerjäger­n laut der Studie erst ermöglicht: zunächst die Trockenleg­ung von Sümpfen, die Aspisviper­n meiden, dann die Abholzung vieler Hecken. Die Landschaft wurde monotoner, ökologisch­e Barrieren zwischen den beiden Vipernarte­n wurden ausradiert, sodass sich Lebensräum­e vermischte­n.

Lange evolutionä­re Trennung

Der Befund der Studie aus dem Westen Frankreich­s überrascht, weil Hybridisie­rung in der Regel nur zwischen evolutions­geschichtl­ich nahe verwandten Arten stattfinde­t. Kreuzotter und Aspisviper haben sich jedoch schon vor etwa 13 Millionen Jahren entwicklun­gsgeschich­tlich voneinande­r getrennt – was ein heutiges Rendezvous der beiden Spezies unter den Hecken des LoireTals nicht ausschließ­t.

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In der Region Loire-Atlantique kommt es zu Hybridisie­rungen von Aspisviper­n (im Bild) und Kreuzotter­n.
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