Der schwere Fauxpas des Prähistorikers Josef Bayer
Rechtshistorikerin Kamila Staudigl-Ciechowicz arbeitet in einem neuen Buch Rechtsgrundlagen der Uni Wien und alte Disziplinarverfahren auf. Ein besonders arger Fall betrifft den Mitentdecker der Venus von Willendorf.
Wien – Diesen Übergriff auf seinen wissenschaftlichen Wirkungsbereich konnte sich Josef Bayer schlecht gefallen lassen. Der renommierte Prähistoriker, der 1908 als junger Postdoktorand die Venus von Willendorf mitentdeckte, war seit 1918 Direktor der prähistorischen und anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien und als solcher für die ethnografische und die prähistorische Sammlung verantwortlich. Diese Zuständigkeit Bayers sollte mit einem Schlag halbiert werden.
Die Initiative dafür kam noch dazu nicht einmal aus dem NHM Wien, sondern von außen: Elf Professoren der Uni Wien – durchwegs bekennende Deutschnationale – ließen im Juni 1924 eine Sitzung im Unterrichtsministerium einberufen und forderten dort, dass Bayer die ethnografische Sammlung abgeben müsse. Der Minister stimmte dieser Entmachtung über den Kopf Bayers und seiner NHM-Kollegen hinweg zu.
Kein Wunder, dass sich der Prähistoriker zur Wehr setzte. Er richtete zunächst eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und ergriff noch eine andere Maßnahme: Er ging mit seinen Vorwürfen an die Presse. Zwar machten die Professoren „rein wissenschaftliche“Gründe für die Trennung der Sammlungen geltend. Für Bayer steckten aber bloß politische Motive dahinter: Zum einen sollte ein Forscher, der den Professoren nahestand, die Leitung der ethnografischen Sammlung erhalten. (Diese wurde dann übrigens als Völkerkundemuseum ausgegliedert, das seit einigen Jahren Weltmuseum heißt und bald wiedereröffnet wird, siehe Seite 13.)
Zum anderen hatte Bayer den Anatomen Julius Tandler – einen Sozialdemokraten jüdischer Herkunft – kurz zuvor zum beratenden Mitglied des von ihm am NHM gegründeten Instituts für Rassen- und Konstitutionsanthropologie gemacht, was von der nationalsozialistischen Deutschösterreichischen Tages-Zeitung, dem Sprachrohr der rechten Professoren, heftig kritisiert wurde.
Öffentlicher Widerstand
Dass sich Bayer seinerseits in der Presse zu Wehr setzte, war ein gewagter Schritt in Zeiten, in denen die Uni Wien immer weiter nach rechts abdriftete: So zirkulierten im Frühjahr 1924 „gelbe Listen“mit den Namen „jüdischer“Lehrender (wie des konvertierten Julius Tandler), deren Vorlesungen gemieden oder gestört werden sollten. Und einigen bestens qualifizierten Forschern war im Studienjahr 1923/24 die Habilitation verweigert worden, weil sie jüdischer Herkunft oder sozialdemokratischer Gesinnung waren (offiziell wurden meist andere Gründe geltend gemacht).
Bayer ahnte, dass einige jener antisemitischen Professoren, die für diese Diskriminierungen verantwortlich waren, auch hinter der Intrige gegen ihn standen. Um