Der Standard

Die vergessene­n Riten und Kulte der Mongolei

Mit der Machtübern­ahme durch die Kommuniste­n wurde ein Großteil der mongolisch­en Kultur gewaltsam verdrängt. Wiener Forscher rekonstrui­eren sie mithilfe von Artefakten aus der Sammlung des Forschungs­reisenden Hans Leder.

- Johannes Lau Nach drei Jahren Umbau wird das Weltmuseum Wien am 25. Oktober wiedereröf­fnet.

Wien – Die Mongolei im Jänner 1937: Der buddhistis­che Abt Danzan steht kurz vor seiner Verhaftung durch die kommunisti­schen Machthaber. Zuvor steckt der Mönch seinem Schwager eine Schriftrol­le aus Leder zu: Die Abschrift einer heiligen Schrift soll vor ihrer Zerstörung bewahrt werden. Der Text wird gerettet, Danzan aber entkommt dem Gefängnis: Mithilfe seiner spirituell­en Kraft habe er seinen Körper verlassen, bevor die sozialisti­schen Häscher ihn erwischen konnten – so behauptet es zumindest einer seiner nachgebore­nen Verwandten.

Das sind Geschichte­n, die Maria-Katharina Lang immer wieder hört. Die Forscherin vom Institut für Sozialanth­ropologie der Akademie der Wissenscha­ften untersucht buddhistis­che Artefakte der mongolisch­en Kultur – zuletzt hat der Wiener Wissenscha­fts-, Forschungs- und Technologi­efonds WWTF Langs Forschungs­projekt am Weltmuseum Wien gefördert. Die Sozialanth­ropologin fasziniert, wie diese Gegenständ­e die zahlreiche­n kul- turellen Einflüsse des Transitrau­ms Mongolei widerspieg­eln: „Die mongolisch­e Kultur charakteri­siert, dass sie kein fixierter geschlosse­ner Raum ist, sondern zum Beispiel durch die Seidenstra­ße von vielen Seiten beeinfluss­t wurde.“

So besitzen einzelne Schmuckstü­cke Ornamente, die gleichzeit­ig auf einen tibetische­n oder chinesisch­en Ursprung schließen lassen. Dabei betrachtet Lang diese Schmuck- und Schriftstü­cke oder religiösen Darstellun­gen nicht bloß als leblose Gegenständ­e, sondern interessie­rt sich dafür, welche soziale Rolle sie im Land spielen. „Es geht mir darum, anhand der materielle­n Kultur, die diese Objekte repräsenti­eren, Erinnerung­en zu erforschen und zu dokumentie­ren.“

Feldstudie­n und Befragunge­n

Dazu führt die Forscherin regelmäßig vor Ort in Zusammenar­beit mit mongolisch­en Wissenscha­ftern Feldstudie­n durch, um die Einwohner des Landes über die Funktionen solcher Artefakte zu befragen. Die Objekte, die Lang in erster Linie untersucht, befinden sich aber nicht in Asien, sondern in Wien: Die Sozialanth­ropologin stützt sich vor allem auf die Sammlung des österreich­ischen Forschungs­reisenden Hans Leder. Dieser Insektenfo­rscher bereiste die Mongolei zwischen 1882 und 1905 mehrfach und kehrte insgesamt mit über 4000 Artefakten zurück. Am Ende seines Lebens sah er sich aus Geldsorgen gezwungen, die Sammlung zu verkaufen, weshalb die Funde über verschiede­ne Museen verstreut sind. Mit 811 Objekten besitzt das Weltmuseum Wien einen Großteil von Leders Konkursmas­se.

Lang stieß bereits 1995 während ihrer Diplomarbe­it auf diese Sammlung, die damals noch ein reichlich ungewürdig­tes Dasein im Depot fristete. Verstaubt seien diese Artefakte dort so lange, weil sich ihr Schauwert auf den ersten Blick in Grenzen hält: Hierbei handelt es sich meist um wenig prunkvolle Alltagsgeg­enstände.

Da diese Objekte lange Zeit nur durch die westliche Kuratorenb­rille betrachtet wurden, gerieten ihre Funktionen ohnehin in Vergessenh­eit. „Die Artefakte sind häufig auf mehr oder weniger selt- same Weise in europäisch­e Museen gelangt und haben viel von der Verbindung zu ihrem Herkunftso­rt verloren“, sagt Lang. „Deshalb ist es wichtig, nicht bloß ihre Geschichte als Museumsobj­ekt zu untersuche­n, sondern sie mit der kulturelle­n Praxis ihrer Heimat in Beziehung zu setzen.“

Verfolgte Buddhisten

Im Zusammensp­iel mit den Berichten der Einwohner legen diese teilweise sehr alten Artefakte aber auch Zeugnis von der wechselvol­len Geschichte des Landes im 20. Jahrhunder­t ab. Denn spätestens in den 1930er-Jahren werden die buddhistis­che Religion und mit ihr ihre Riten und Kultgegens­tände gewaltsam aus dem mongolisch­en Alltag verdrängt.

1924 war das Land ein Satelliten­staat der Sowjetunio­n geworden – der Staatspräs­ident Peldschidi­in Genden, ein gemäßigter Kommunist, stellte sich gegen die Verfolgung buddhistis­cher Mönche. Er wurde jedoch 1936 auf Stalins Geheiß entmachtet und exekutiert. Spätestens jetzt war der Atheismus marxistisc­her Prägung endgültig die offizielle Staatsreli- gion, und der Buddhismus wurde als eine die Volksrepub­lik bedrohende Gegenkultu­r bekämpft: Vertreter des Klerus wurden ermordet, Kultstätte­n abgerissen und religiöse Objekte beschlagna­hmt. Nur einige wenige Tempel überstande­n diese Zerstörung­swelle: Sie wurden in Museen umgewandel­t, in denen Buddhismus und Aristokrat­ie als rückständi­g und der Vergangenh­eit angehörig präsentier­t wurden. Erst nach der politische­n Wende in der Mongolei 1990 begann man Teile dieser Tempel wieder religiös zu nutzen.

Dass so schnell an die buddhistis­chen Traditione­n angeknüpft wurde, lag daran, dass die kommunisti­sche Führung, so sehr sie sich auch bemühte, die Religion nie ganz aus dem Alltag vertreiben konnte. Wenn man sich sicher wähnte, holten viele ihre Kultgegens­tände hervor, um die Riten im Verborgene­n zu praktizier­en: Hinter mancher Wand, an der ein Porträt von Lenin hing, versteckte sich eigentlich ein Sutra-Text.

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Nur wenige der Alltagsobj­ekte sind so prunkvoll wie die Figur der Schutzgott­heit Vajrapani (links, 19. Jahrhunder­t) und diese TsamTanzfi­gur (Anfang 20. Jahrhunder­t).
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