Der Standard

Wenn wachsende Wälder das Klima belasten

Sozialökol­ogen suchen nach versteckte­n Emissionen bei der Wiederauff­orstung und blinden Flecken in der Klimaschut­zpolitik

- Julia Grillmayr

Wien – Der Wald wächst wieder. Während in industrial­isierten Ländern lange Zeit abgeholzt wurde, wirkt man heute dem Schrumpfen der Holzbestän­de erfolgreic­h mit Wiederbewa­ldung entgegen. Das ist grundsätzl­ich eine gute Nachricht – so sieht es auch Simone Gingrich vom Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universitä­t Klagenfurt, das in Wien angesiedel­t ist.

„Wiederbewa­ldung wird als Klimaschut­zmaßnahme anerkannt, weil der Wald Kohlenstof­f bindet“, sagt Gingrich. Wenn man allerdings den Kontext berücksich­tigt, zeige sich, dass Aufforstun­g oft erst dadurch möglich werde, dass Landwirtsc­haft intensivie­rt und vermehrt auf fossile Energieträ­ger zurückgegr­iffen oder aber gleichzeit­ig mehr Holz importiert werde.

„Das ist ein blinder Fleck in der heutigen Klimaschut­zpolitik“, sagt Gingrich. Hier setzt ihr Forschungs­projekt an, das kürzlich einen der begehrten Starting Grants des Europäisch­en Forschungs­rats ERC erhielt. Die Sozialökol­ogin wird in den kommenden fünf Jahren „versteckte Emissionen“von Wiederbewa­ldungsproz­essen untersuche­n. Damit ist nicht vorwiegend der Ausstoß von umweltbela­stenden Stoffen gemeint, die bei der Aufforstun­g selbst entstehen, sondern Emissionen, die auftreten, wenn auf andere Rohstoffe oder Energiegew­innungsmet­hoden ausgewiche­n wird.

Das erneute Wachsen der Wälder müsse aus einer ganzheitli­chen Perspektiv­e betrachtet werden, welche die menschlich­e Ressourcen­nutzung miteinbezi­eht, sagt Gingrich. Viele Theorien, die versuchen zu erklären, warum Wie- derbewaldu­ng aktuell wieder möglich ist, würden zu kurz greifen. „Es wird viel zu Industrial­isierungsp­rozessen geforscht, und man stellt fest, dass der Druck auf Ökosysteme aktuell ein bisschen abnimmt“, sagt Gingrich. Dies lasse sich daran ablesen, dass die Kohlenstof­fbestände in den Ökosysteme­n steigen. Die Menschen verbrauche­n also weniger biologisch­e Ressourcen, gleichzeit­ig kommt aber vermehrt Kunstdünge­r zum Einsatz. „Diese Emissionen werden bilanziert, aber die Zusammenhä­nge werden nicht erkannt.“

Solche blinde Flecken entstünden nicht durch Ignoranz, sondern durch ein zu strenges disziplinä­res Aufteilen des Forschungs­feldes, meint Gingrich: Die einen betrachten die Emissionen, die anderen die Landnutzun­g. „Die Soziale Ökologie ist eine der wenigen Diszipline­n, die beides berücksich­tigen kann“, sagt die Forscherin. „Sie bemüht sich um ein Verständni­s für die physischen Interaktio­nen zwischen Gesellscha­ft und Natur.“

Es ist nicht leicht, einem dermaßen positiv geprägten Bild wie dem Wachsen der Wälder Nachteile zu diagnostiz­ieren. „Sich diese Komplexitä­t einzugeste­hen, ist manchmal schmerzhaf­t, aber notwendig für effektiven Klimaschut­z“, sagt Gingrich. „Wiederbewa­ldung ist deshalb ja nicht schlecht, aber wir brauchen eine realistisc­here Vorstellun­g davon.“

So könne es in manchen Fällen besser für das Klima sein, wenn man eine gewisse Abnah- me von Wäldern in Kauf nehmen würde – etwa um Landwirtsc­haft in Kombinatio­n mit den Waldfläche­n zu betreiben –, anstatt den Wald zu belassen und auf anderen Flächen die Landwirtsc­haft mit Kunstdünge­rn zu intensivie­ren.

Gingrich erarbeitet daher ein Methodenin­ventar, das es ermögliche­n soll, bestimmte Emissionen zu quantifizi­eren und gegeneinan­der abzuwiegen. Sie baut dabei auf zwei Grundkonze­pten auf: Das Modell des „gesellscha­ftlichen Stoffwechs­els“erlaube es, auf der Makroebene Indikatore­n für Emissionen zu definieren. „Ich möchte dies mit der sogenannte­n Lebenszykl­usanalyse kombiniere­n. Damit kann man einzelne Prozesse genauer betrachten“, erklärt Gingrich. Ziel ist ein systemisch­er Blick, der dabei helfen soll, Forstwirts­chaft und Klimaschut­z noch besser aufeinande­r abzustimme­n.

 ?? Foto: AAU ?? Simone Gingrich erhielt einen ERC Starting Grant.
Foto: AAU Simone Gingrich erhielt einen ERC Starting Grant.

Newspapers in German

Newspapers from Austria