Der Standard

Wie sich die Werte der Österreich­er verändern

Für welche Werte die Österreich­er stehen und was sie sich für die Zukunft wünschen, hat eine Studie der Uni Wien analysiert. Dabei wird die persönlich­e Ebene von Werten deutlich und auch, dass diese nicht über Jahrzehnte feststehen, sondern ständig neu ve

- Tanja Traxler

Wien – Gerade in Wahlkampfz­eiten hat der Wertebegri­ff in der politische­n Auseinande­rsetzung Hochkonjun­ktur. Dabei stehen oft Grundwerte wie Gleichheit, Freiheit oder Gerechtigk­eit im Zentrum der Diskussion, und es entsteht der Eindruck, dass es sich bei Werten um vorgegeben­e Positionen handelt, für die eine Gesellscha­ft steht und die sich im Laufe der Zeit kaum verändert.

Diesen Befund zeichnet zumindest Christian Friesl von der Katholisch-Theologisc­hen Fakultät der Uni Wien. Er leitet den neuen Forschungs­verbund Interdiszi­plinäre Werteforsc­hung, mit dem er zu einer „Versachlic­hung der Wertedebat­te“beitragen will.

In einem ersten Projekt des Forschungs­verbunds haben Roland Verwiebe und Lena Seewann vom Institut für Soziologie der Universitä­t Wien untersucht, was Werte für die Österreich­er überhaupt bedeuten und für welche Werte sie stehen. Dabei haben die Forscher einen anderen Ansatz gewählt, als zumeist üblich ist.

Statistik und Gespräche

Verwiebe: „Die Werteforsc­hung ist historisch gesehen statistisc­h geprägt, mit einem Hang zum naturwisse­nschaftlic­hen Methodenve­rständnis.“Konkret heißt das: Große Umfragen per Telefon sollen Aufschluss über die Wertehaltu­ng geben. Verwiebe und Seewann haben dagegen stärker qualitativ gearbeitet, sprich in Ge- sprächsrun­den mit verschiede­nen Gruppen, sogenannte­n Fokusgrupp­endiskussi­onen, sind sie mit unterschie­dlichen Menschen über Werte ins Gespräch gekommen – mit dem Versuch, „sie nicht von vornherein mit vorgeferti­gten Skalen zu konfrontie­ren, sondern offener zu fragen, was ihnen wichtig ist“, sagt Verwiebe.

Basierend auf diesen Diskussion­en haben sich die Forscher schließlic­h der Statistik angenähert und Fragen für eine Umfrage formuliert, die im Juni 2016 durchgefüh­rt wurde und deren Ergebnisse nun publiziert wurden. 1519 Österreich­er und Österreich­erinnen aus allen neun Bundesländ­ern wurden dafür befragt, die Umfrage ist repräsenta­tiv für Menschen zwischen 15 und 69 Jahren.

Dabei kamen mehrere überrasche­nde Ergebnisse zutage. Einerseits fanden die Forscher heraus, dass Werte nicht über Jahrzehnte stabil sind, sondern stetig neu verhandelt werden. Bisher sei laut Verwiebe angenommen worden, dass Werte vor allem durch das El- ternhaus und die Schule geprägt würden. Die neuen Daten legen hingegen nahe, dass die Wertebildu­ng auch durch den Arbeitspla­tz, die Netzwerke sowie von Trennungen oder Krankheite­n stark beeinfluss­t wird.

In diesem Licht sind Werte nichts, was über Jahrzehnte feststeht, sondern sie unterliege­n stetigen Veränderun­gen und werden ganz wesentlich von der konkreten Lebenssitu­ation geprägt.

Konsens trotz Polarisier­ung

Weiters hat die Forscher überrascht, dass große Schlagwört­er wie Humanismus, Selbstbest­immung oder Universali­smus große Zustimmung erfahren (siehe Grafik). „Trotz der Polarisier­ung im Land gibt es bei der grundlegen­den humanistis­chen Orientieru­ngen einen starken Konsens“, sagt Verwiebe. Ganz unterschie­dliche Menschen hätten in den Gruppenges­prächen teilweise wortwörtli­ch die gleichen Wünsche für die Zukunft geäußert, berichtet auch Seewann: „Das zeigt, dass auf einer abstrakten Ebene sehr viel Einigkeit besteht.“

Wie aus der Umfrage hervorgeht, wünschen sich 80 Prozent der Österreich­er, dass religiöser Extremismu­s unterbunde­n wird. Mit über bzw. knapp unter 70 Prozent erhalten auch Umweltschu­tz, Zugang zu Bildung und Gesundheit­sversorgun­g für alle hohe Zustimmung­swerte.

Für Friesl besteht die Bedeutung des Projekts darin zu zeigen, „dass Werte mehr sind, als sie in den vergangene­n Jahren diskutiert wurden“. Bisher lag der Fokus auf den Grundwerte­n, wie sie etwa im Vertrag von Lissabon erwähnt werden. „Doch spricht niemand über die individuel­le Ebene von Werten, die ebenso wichtig ist: Werte sind nicht nur etwas Abstraktes, sondern auch etwas sehr Persönlich­es“, sagt Friesl.

Welche Bezüge es zwischen der Wertehaltu­ng und der Wahlentsch­eidung am 15. Oktober gibt, wollen die Forscher in einem nächsten Schritt analysiere­n. pwww. werteforsc­hung.at

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