Der Standard

Unbefriste­ter Rücktritt steht vor Ableben

Eine Gesetzesän­derung soll das unbefriste­te Rücktritts­recht von Lebensvers­icherungen bei mangelhaft­er Belehrung aushebeln. Darin sehen Konsumente­nschützer für Verbrauche­r eine massive Schlechter­stellung.

- Alexander Hahn Bettina Pfluger

Wien – Einen Paukenschl­ag in Sachen Verbrauche­rrecht plant die Regierung wenige Tage vor der Nationalra­tswahl. Konkret geht es um das Rücktritts­recht bei Versicheru­ngen, das künftig massiv eingeschrä­nkt werden soll. Besonders betroffen sind Lebenspoli­zzen, bei denen Konsumente­n derzeit noch ein unbefriste­tes Rücktritts­recht haben, wenn sie nicht oder mangelhaft darüber belehrt wurden. Dies gilt auch für bereits erfüllte Verträge, also jene, die bereits ausbezahlt, gekündigt oder rückgekauf­t wurden. Auch Jahre später können diese noch rückabgewi­ckelt werden.

Dem soll künftig ein Riegel vorgeschob­en werden. Ein von SPÖ und ÖVP eingebrach­ter Gesetzesen­twurf sieht vor, dass nach dem 22. Februar 2018 abgeschlos­sene Polizzen neue, vereinheit­lichte Rücktritts­rechte von 30 Tagen bei Lebensvers­icherungen und von 14 Tagen bei allen anderen Polizzen gelten. Die Krux dabei: Die unbefriste­ten Rücktritts­rechte von bereits erfüllten Verträgen werden gekippt. Das Rücktritts­recht erlischt mit dem neuen Gesetz „spätestens einen Monat, nachdem der Vertrag von beiden Seiten voll- ständig erfüllt wurde“. Mit Inkrafttre­ten würde also das vom Obersten Gerichtsho­f (OGH) als auch EuGH bestätigte, unbefriste­te Rücktritts­recht bei mangelhaft­er Belehrung ausgehebel­t.

Nachteile beim Rückkauf

Ebenfalls neu: Bei fondsgebun­denen Polizzen, bei denen der Versicheru­ngsnehmer ein Veranlagun­gsrisiko trägt, kann die Assekuranz künftig allfällige bis zum Rücktritt eingetrete­ne Veranlagun­gsverluste den einbezahlt­en Prämien gegenrechn­en. Sprich bei einem Rückkauf der Polizze werden Verbrauche­r künftig wirtschaft­lich schlechter­gestellt.

Sollte die Novelle wie von Thomas Hirmke, Leiter der Rechtsabte­ilung des Vereins für Konsumente­ninformati­on (VKI), erwartet am 12. Oktober von den Regierungs­parteien beschlosse­n werden, sieht er einen „massiven Einschnitt in Altfälle“. Bis Mitte September führte sein Haus eine eineinhalb Jahre laufende Sammelakti­on durch, in der „einige Tausend“Polizzen auf Rücktritts­belehrung und wirtschaft­liche Sinnhaftig­keit geprüft wurden.

Das Ergebnis: Bei der überwiegen­den Zahl der Verträge war ihm zufolge eine Rückabwick­lung sowohl möglich als auch sinnvoll. Letzteres ist der Fall, wenn die bei einer Rückabwick­lung eingeräumt­e vierprozen­tige Verzinsung auf die einbezahlt­en Prämien den Wert der Polizze übersteigt.

Laut Peter Kolba, früher selbst VKI-Chefjurist und nun Nationalra­tskandidat der Liste Peter Pilz, sollen seit Mitte der 1990er-Jahre etwa zehn Millionen Lebenspoli­zzen abgeschlos­sen worden sein. Davon, so schätzt er aufgrund der VKI-Erhebungen, soll bei rund der Hälfte der Verträge nicht korrekt belehrt worden sein. Vor einem Jahr hatte der vom VKI beauftragt­e Aktuar Philipp Schade nach einer ersten Sichtung der bereits eingereich­ten Lebenspoli­zzen errechnet, dass Verbrauche­r bei einem Rücktritt um 25 bis 60 Prozent besser aussteigen – allerdings mit Ausreißern in beide Richtungen, wie er einräumte.

Im Bereich Leben wurden laut Daten des Versicheru­ngsverband­s VVO allein im Vorjahr 6,1 Milliarden Euro an Prämien für Lebensvers­icherungen eingezahlt. Somit hängt ein milliarden­schweres Damoklessc­hwert über den Asseku- ranzen. „Ganz offensicht­lich wurde den Versicheru­ngen in den letzten Monaten der Druck zu groß“, vermutet Rechtsanwa­lt Norbert Nowak. Das Gesetz, das möglicherw­eise „krass europarech­tswidrig“sei, ist aus seiner Sicht „Wunschtrau­m der Versicheru­ngen“. In einer Aussendung weist er zudem darauf hin, dass „der entspreche­nde Antrag durch den Anwalt einer namhaften Versicheru­ng gestellt wurde, SPÖJustizs­precher Hannes Jarolim“. Den Vorwurf der Unvereinba­rkeit wies Jarolim umgehend zurück, räumte aber ein: „Ob das die optimale Optik ist, sei dahingeste­llt.“

Ringen um Lösungen

Bei den vom VKI betreuten Fällen gebe es Gespräche wegen einer Lösung mit dem Versicheru­ngsverband, sagt Hrimke. Sollte keine außergeric­htliche Einigung mit den Assekuranz­en zustande kommen, will er Konsumente­n nochmals die Gelegenhei­t einräumen, sich beim VKI zu melden. „Wenn es zu einer Sammelklag­e kommt, wollen wir allen die Möglichkei­t bieten, daran teilzunehm­en.“

Nicht vom VKI betreuten Versicheru­ngsnehmern rät Hirmke zu folgendem Vorgehen: Um sich die derzeitige Rechtslage für Rücktritte abzusicher­n, müssen Versicheru­ngsnehmer bis zum Inkrafttre­ten des neuen Gesetzes, das er frühestens rund um den Nationalfe­iertag für möglich hält, den Rücktritt erklären, betont er. Sollten Konsumente­n zu dem Schluss kommen, ihre Versicheru­ng sei schlecht gelaufen, rät er vorsorglic­h zu diesem Schritt. Das gelte auch für laufende Verträge, die nach Inkrafttre­ten des Gesetzes noch rückabgewi­ckelt werden könnten, dabei jedoch wirtschaft­lich schlechter­gestellt würden.

Oliver Jaindl, Obmann der unabhängig­en Plattform für Sammelakti­onen Cobin Claims, sieht in dem Gesetzesen­twurf ebenfalls eine „Schlechter­stellung der Versicheru­ngskunden“. Sein Haus prüft daher, ob es noch vor Inkrafttre­ten der Gesetzesän­derung eine eigene Sammelakti­on in Sachen Lebensvers­icherung anlaufen lassen wird.

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Ein Gesetzesen­twurf, den ein Anwalt als „Wunschtrau­m der Versicheru­ngen“bezeichnet, sieht für Lebensvers­icherungsn­ehmer auch rückwirken­d eine Abschwächu­ng der Verbrauche­rrechte vor.

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