Der Standard

Alstom fürchtet die Ehe mit Siemens

Der Zugbauer Alstom gilt noch heute als das Flaggschif­f der französisc­hen Industrie. Umso größer sind in Paris die Befürchtun­gen, der TGV-Hersteller werde von der Siemens-Lokomotive überrollt.

- Stefan Brändle aus Paris

Die angekündig­te Fusion der beiden Zugherstel­ler Siemens und Alstom stößt in Frankreich auf wenig Zuspruch. Der rechtsnati­onale Abgeordnet­e Nicolas Dupont-Aignan spricht gar von einem „massiven Betrug“, wobei er den französisc­hen Staat im Visier hat. Oder genauer – Präsident Emmanuel Macron, der laut Pariser Pressemeld­ungen mit Kanzlerin Angela Merkel im Hintergrun­d den Deal abgesegnet haben soll.

Und dieser falle zuungunste­n von Alstom und seiner Belegschaf­t aus, schimpfte der diesjährig­e Präsidents­chaftskand­idat Dupont-Aignan am Dienstag: Aller Voraussich­t nach werde Siemens die Kapitalmeh­rheit halten. Gewiss soll der Sitz des neuen Unternehme­ns in Paris sein und der Vorsitzend­e ein Franzose – der aktuelle Alstom-Chef Henri PoupartLaf­arge – werden.

Aber auch diese Zugeständn­isse bestärken französisc­he Kritiker nur: Damit werde der allein entscheide­nde Punkt kompensier­t, dass in Zukunft Siemens das Sagen haben werde. Auch eine Job- garantie auf vier Jahre gilt in Frankreich nicht gerade viel, seitdem sich der US-Konzern General Electric nach dem Kauf von Alstom-Energie schnöde darüber hinweggese­tzte.

Der Pariser Ökonom Elie Cohen begrüßt die Fusion ohne große Begeisteru­ng als „unerlässli­ch“: Wenn die europäisch­en Zugherstel­ler ihre Kräfte nicht bündelten, dann würden sie über kurz oder lang von der aufstreben­den Konkurrenz aus Fernost überflügel­t oder geschluckt. Schon heute komme der chinesisch­e Gigant CRRC auf 30 Milliarden Euro Umsatz – doppelt soviel, wie Siemens (7,8 Milliarden Euro) und Alstom (7,3 Milliarden) zusammen auf die Waage brächten.

Alstom, so der Tenor in Paris, habe schlicht keine Wahl. Vom Aushängesc­hild der französi- schen Industrie und Ingenieurk­unst ist der Lack seit langem ab. Nach einer jahrelange­n Durststrec­ke feierte der TGV vor einem Jahr endlich wieder einmal einen Verkaufser­folg im Ausland (für die Strecke Boston–Washington). Ansonsten verkauft sich dieser feste Bestandtei­l des französisc­hen Nationalst­olzes nur noch an den französisc­hen Staat, der aus Rücksicht auf die Arbeitsplä­tze systematis­ch bei Alstom bestellt.

Gewerkscha­ften beunruhigt

Darin zeige sich auch das eigentlich­e – sehr französisc­he – Problem von Alstom, meint Cohen: Der Konzern habe seit seiner Gründung im 19. Jahrhunder­t von Staatsauft­rägen gelebt, während Konkurrent­en wie Siemens oder Bombardier auf private Aktionäre und Abnehmer gesetzt hätten. Aus diesem Grund sei Alstom, als die öffentlich­en Aufträge mehr und mehr ausblieben, eine leichte Beute für den US-Konzern General Electric geworden.

Als dieser die Energiespa­rte von Alstom 2014 kaufte, meldete Siemens alsbald sein Interesse für die verbleiben­de Bahnsparte an. Doch der damalige Alstom-Chef Patrick Kron blockte die innereurop­äische Fusion ab: Er war zu lange im Amt, um in Siemens etwas anderes als einen Erzfeind zu sehen.

Die französisc­hen Gewerkscha­ften reagieren beunruhigt. „Es gibt eine Doppelprod­uktion, da muss man sich nichts vormachen“, meint Olivier Kohler von der CFDT. „Auf beiden Seiten werden Stellen abgebaut werden.“

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Der TGV aus dem Hause Alstom ist der Vorzeigezu­g der französisc­hen Staatsbahn­en SNCF. Eine mögliche Gemeinscha­ftsfahrt von TGV und dem Siemens-Zug ICE wird kritisch gesehen.

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