„Wir würden ‚Vorstadtweiber‘ nehmen“
Streamingdienste machen dem linearen Fernsehen mit milliardenschweren Produktionsbudgets Konkurrenz. Christoph Schneider, Amazon-Video-Geschäftsführer in Deutschland, beruhigt lokale Produzenten. ‚You Are Wanted‘ ist die erfolgreichste Serie von Amazon im
Standard: 4,5 Milliarden Dollar soll Amazon 2017 ausgegeben haben. Das ist eine Zahl, bei der nur noch die Global Player mitspielen können. Ist das nicht eine extreme Zentralisierung des TV-Markts? Schneider: Global Player müssen Content erzeugen, der im jeweiligen Land hervorragend ist. Sie versuchen zwar Serien herzustellen in der Hoffnung, dass sie weltweit erfolgreich sind, was auch manchmal gelingt, aber in sehr vielen Fällen ist lokaler Content die Nummer eins. Die vielen lokalen Player haben hervorragende Ausgangspositionen, wenn sie guten Content schaffen.
Standard: Sie können nicht bestreiten, dass man gegen Amazon oder Netflix nicht mithalten kann. Schneider: In Hinsicht auf Quantität wahrscheinlich nicht. Aber: Wie relevant sind diese Inhalte für ein bestimmtes Land? Qualität ist der wichtigere Faktor. Am Ende glaube ich nicht, dass es ein „The winner takes it all“ist. Eher stellt sich der Kunde seinen Content unterschiedlich, je nach Geschmack, nach Alter, nach Tageszeit oder nach Tagesform zusammen.
Standard: Sind deutschsprachige Produktionen im Trend? Schneider: Wie Sie es auch im Free TV sehen, sind Leute von ameri- kanischen Produktionen begeistert – aber nebenbei sind natürlich auch lokale Produktionen hoch im Kurs: Wir würden auch liebend gerne etwa Vorstadtweiber nehmen. Die Art von Content, die ein Kunde will, variiert. Eine Serie wie Mr. Robot will man nicht jeden Tag schauen, umgekehrt auch nicht ständig Big Bang Theory. Das ist von der Tagesform abhängig, und daher versuchen wir, ein möglichst breites Spektrum anzubieten.
Standard: Während klassische Fernsehsender ihre Quoten durchgehend bekanntgeben, gibt es von Ihnen überhaupt keine Zahlen. Schneider: Das liegt hauptsächlich am Geschäftsmodell – Free-TVPlayer leben von Anzeigen und müssen daher große Reichweiten haben. Wir würden es ganz gerne einmal tun, ich glaube, das wäre einmal interessant, einfach auch um die Dimensionen, ich will jetzt nicht sagen zurechtzurücken, aber darzustellen. Im Gegensatz zu anderen machen wir das aber nicht, weil wir nach einem Abomodell operieren und keinen Vorteil für unsere Kunden sehen.
Standard: Auch keine Rankings? Schneider: Was ich sagen kann, ist, dass You Are Wanted im deutschsprachigen Raum die erfolgreichs- te Serie ist, die die meisten Zuschauer generieren konnte. Und zu Ende geschaut wurde: Das ist auch ein wichtiger Faktor, die „completion rate“.
Standard: Anders als Free TV befinden sich Streamingplattformen oft hinter einer Bezahlschranke. Das heißt für den Konsumenten: Wenn er sich bloß wenige Kulthits wie „Game of Thrones“, „Stranger Things“und „Mr. Robot“ansehen will, müsste er drei Abos abschließen. Wie stehen Sie zu diesem „Abowahn“? Schneider: Im Bezahlservice war es immer so. Sie mussten im Free TV außerdem ja auch mehrere Sender ansehen. Aber das wurde über Werbung refinanziert. Sie konnten die Serie oder den Film nicht in Ruhe durchschauen, weil er ständig von Werbung unterbrochen wird.
Standard: Die USFernsehpreise Emmys haben vermuten lassen, dass Amazon hinter Netflix und Hulu hinterherhinkt. Schneider: Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass wir vorn dabei sind. Man gewinnt nicht immer. Außerdem sind die Emmys zwar eine tolle Auszeichnung, auf die man stolz ist, aber letztlich muss man schauen, was bei den Kunden funktioniert. Das, was bei den Emmys ausgezeichnet wird, ist nicht unbedingt immer das, was der Massenmarkt möchte. In Variety war kürzlich ein Artikel, in dem stand, dass Emmy-Gewinner vom Publikum nicht geschätzt werden. Da wurde aufgeführt, welche Emmy-Gewinner wie viele Leute gesehen haben, wieviele vom Gewinner gehört haben oder auch noch nie gehört haben. Das war sehr interessant, beispielsweise wurde House of Cards nur von 18 Prozent der Befragten gesehen, 68 haben bloß davon gehört. Und: Die berühmteste und erfolgreichste Cable-Serie der Welt, The Walking Dead, hat nie irgendwas gewonnen. Also wie gesagt: Emmys sind schön und sicherlich auch eine Auszeichnung. Und wir haben auch in vorherigen Jahren mehr abgeräumt als andere. Dieses Jahr einmal nicht, aber auf der anderen Seite muss das beim Kunden funktionieren. Ein Kritikeraward und ein Kundenaward sind auch unterschiedliche Dinge.
CHRISTOPH SCHNEIDER (51) leitet Amazon Video in Deutschland und Österreich. Zuvor war er bei Maxdome und ProSiebenSat1. der STANDARD sprach mit ihm bei den Wiener Medientagen.