Der Standard

Aus dem Schatten des großen Bruders

- Andreas Kappeler, „Ungleiche Brüder – Russen und Ukrainer vom Mittelalte­r bis zur Gegenwart“. € 17,50 / 267 Seiten. Verlag C. H. Beck, München 2017

Wer sich in einem Buch wichtige Stellen gern anstreicht, hat hier viel zu tun. Denn Andreas Kappelers Abhandlung über das vertrackte Verhältnis von Russen und Ukrainern und ihre teils gemeinsame, teils gegenläufi­ge Geschichte ist so dicht, dass jeder Satz volle Aufmerksam­keit verdient.

Kappeler, Professor emeritus für Osteuropäi­sche Geschichte an der Universitä­t Wien und Mitglied der Österreich­ischen und der Ukrainisch­en Akademie der Wissenscha­ften, hat zahlreiche Bücher über Russland und die Ukraine veröffentl­icht. Er gilt als einer der besten Ukraine-Historiker des deutschspr­achigen Raumes. Auch in seinem jüngsten Werk macht er aus seiner Sympathie für die Ukraine als eigenständ­ige Nation mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur kein Hehl. Doch dies trübt keinesfall­s seinen kritischen Blick.

Kappelers zentrale These: Russland und die Russen haben die Ukraine und die Ukrainer bis heute nicht als gleichbere­chtigte Partner akzeptiert und sich mit ihrer staatliche­n Unabhängig­keit niemals abgefunden. „Der größere Bruder liebt seinen kleineren Bruder, der schön singt und tanzt, doch bevormunde­t er ihn und zwingt ihm seinen Willen auf. Will der Kleinere sich aus der Obhut des Größeren befreien, reagiert dieser heftig und versucht das mit allen Mitteln zu verhindern.“Dabei verschweig­t der Historiker nicht, dass auch die ukrainisch­en Eliten über die Jahrhunder­te hinweg ihren Anteil an der Bevormundu­ng durch den mächtigen Verwandten hatten.

Das Hauptmotiv Wladimir Putins für die bewaffnete Interventi­on in der Ukraine, die Annexion der Krim und die Schaffung zweier „Volksrepub­liken“im Osten des Landes sieht Kappeler darin zu verhindern, „dass sich die Ukraine als ein den europäisch­en Werten verpflicht­eter Staat etablierte und stabilisie­rte“. Die Ukraine hole die Revolution von 1989 nach und reihe sich in den Kreis der europäisch­en Nationen ein. Das müsse Europa endlich zur Kenntnis nehmen und danach handeln. Josef Kirchengas­t

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