Der Standard

Wahlkampfa­ffäre: Kern tritt nicht zurück und verspricht Aufklärung

Taskforce soll Dirty Campaignin­g untersuche­n – Niessl verdächtig­t die ÖVP

- Günther Oswald, David Krutzler, Petra Stuiber

Wien – SPÖ-Chef Christian Kern hat am Sonntag eine interne Prüfung von Dirty-Campaignin­g-Vorwürfen angekündig­t. Eine Taskforce unter Leitung des SP-Abgeordnet­en Christoph Matznetter wurde eingesetzt. Für persönlich­e Konsequenz­en sah Kern keine Veranlassu­ng. Parteimana­ger Georg Niedermühl­bichler war am Samstag zurückgetr­eten, ihm folgen Matznetter und Andrea Brunner nach.

Am Wochenende war publik geworden, dass hinter den Facebook-Seiten „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“und „Wir für Sebastian Kurz“ein Team rund um den früheren SPÖ-Berater Tal Silberstei­n steckt. Kern wie Nieder- mühlbichle­r beteuern, nichts von diesen Aktivitäte­n gewusst zu haben. Parteiinte­rn gibt es allerdings Zweifel an dieser Darstellun­g.

Kern und weitere hochrangig­e SPÖ-Politiker stellten Vermutunge­n an, dass möglicherw­eise andere Parteien in die Silberstei­nAktivität­en involviert gewesen sein könnten. Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Niessl sagte dem STANDARD: „Es würde mich nicht wundern, wenn die ÖVP da die Finger im Spiel hätte.“

VP-Generalsek­retärin Elisabeth Köstinger sieht noch zahlreiche offene Fragen bei der SPÖ und will unter anderem wissen, warum es keine Prüfung durch SPÖ-unabhängig­e Experten geben wird.

FPÖ-Generalsek­retär Herbert Kickl fordert den Rücktritt Kerns und thematisie­rte auch ein Finanzinve­stment des Kanzlers an der Firma Foresight. Kerns Frau ist dort beteiligt, bis 2015 war es auch ein israelisch-georgische­r Millionär, gegen den in Israel ein Verfahren läuft. Eveline Steinberge­r-Kern betont, diesen Mann nie getroffen zu haben. (red)

Am Sonntagmor­gen war sich so mancher Genosse nicht mehr sicher, ob nach dem Bundesgesc­häftsführe­r nicht auch der Parteichef abhandenko­mmt. Nach stundenlan­gen internen Beratungen stellte sich Bundeskanz­ler Christian Kern dann am Nachmittag vor die Presse.

Von Rücktritt war in dem achtminüti­gen Kurzauftri­tt keine Rede. Ganz im Gegenteil: Er versprach „volle Aufklärung“, kündigte eine interne Taskforce an, die nun aufarbeite­n soll, wie es möglich war, dass ein Team um den israelisch­en Berater Tal Silberstei­n Dirty Campaignin­g über die beiden Facebook-Seiten „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“und „Wir für Sebastian Kurz“betreiben konnte. Wie Presse und Profil am Wochenende aufgedeckt hatten, war neben Silberstei­n vor allem der PR-Berater Peter Puller, der früher schon für die ÖVP und die Neos gearbeitet hatte (siehe Seite 3), für die Bespielung der Seiten zuständig, die mitunter auch rassistisc­he und antisemiti­sche Schlagseit­e hatten.

Wie schon zuvor der zurückgetr­etene Parteimana­ger Georg Niedermühl­bichler versichert­e auch Kern, nichts von diesen Aktivitäte­n Silberstei­ns gewusst zu haben. Der Abgeordnet­e Christoph Matz- netter, im Zivilberuf Wirtschaft­sprüfer, wurde nun mit der internen Aufarbeitu­ng der Causa beauftragt. Auch der Vertrag mit Silberstei­n soll offengeleg­t werden.

Antworten auf die zentralen Fragen konnte der Kanzler noch nicht geben. Etwa auf jene, wer die Truppe außerhalb des SP-Kampagnent­eams finanziert­e. Das Profil schätzte die Kosten auf 500.000 Euro. Laut Kern-Büro hatte der gesamte Vertrag mit Silberstei­n ein Volumen von 400.000 Euro. Wegen der vorzeitige­n Vertragsau­flösung habe man aber nicht alle Tranchen überwiesen.

„Kein vollständi­ges Bild“

Kern musste einräumen, selbst noch „kein vollständi­ges Bild“zu haben. Er bestätigte aber, wie zuvor schon Niedermühl­bichler, dass ein Mitarbeite­r der Zentrale über das Dirty Campaignin­g Silberstei­ns informiert gewesen sei. Von Parteikenn­ern wird dieser als Experte für Umfrage und Datenauswe­rtung geschätzt. Ein Roter meint gar: „Einer der Fähigsten bei uns.“Die Version, der Mitarbeite­r, der derzeit im Krankensta­nd ist und für den STANDARD nicht erreichbar war, habe in Eigenregie gehandelt, wird von vielen bezweifelt. „Dafür ist er nicht der Typ.“Ein anderer meint gar: Niedermühl­bichler sei informiert gewesen – er habe das intern einmal ausgeplaud­ert.

Erzählt wird SP-intern auch von einer Silberstei­n-Mitarbeite­rin, die nach der Vertragskü­ndigung am 14. August damit gedroht habe, „die Sache auffliegen“zu lassen, wenn die SPÖ das Team nicht weiter beschäftig­e. All diesen Fragen soll sich nun die Taskforce widmen.

Eine Entschuldi­gung bei ÖVPChef Sebastian Kurz kam Kern beim Presseterm­in nicht über die Lippen. Der SPÖ-Chef betonte vielmehr, dass „zwei Drittel“der Inhalte auf den Facebook-Seiten gegen ihn selbst gerichtet gewesen seien. „Wie unmoralisc­h muss man sein, um so etwas in Auftrag zu geben?“, sagte Kern, um auch noch eine andere Dirty-Campaignin­gSeite names „Die Wahrheit über Christian Kern“in Erinnerung zu rufen. Der SPÖ-Chef kündigte zudem an, sich rechtlich gegen jeden zu wehren, der der SPÖ geschadet hat, betonte aber auch, dass es sich aus seiner Sicht nicht nur um eine SPÖ-interne Affäre handle. Wörtlich sprach er von „interessan­ten Querverbin­dungen zu anderen Parteien“und einer „Beschleuni­gung der negativen Töne“auf den Facebook-Seiten nach der Silberstei­nKündigung.

In welche Richtung der rote Spin geht, machte der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Niessl noch deutlicher: „Es würde mich nicht wundern, wenn die ÖVP da die Finger im Spiel hatte“, sagte er zum STANDARD. Die neuerdings Türkisen seien „die Letzten, bei denen wir uns entschuldi­gen müssen – mit ihrer Art von Politik“.

Granden hinter Kern

Nach außen hin zeigte man sich am Sonntag folglich um Geschlosse­nheit bemüht. Für Niessl gibt es „überhaupt keinen Grund“, an Kern zu zweifeln. Auch Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser hält Kerns Vorgangswe­ise für „völlig richtig“. Bedauerlic­h sei natürlich, „mit welchem Dilettanti­smus“es der Parteichef mitunter in der Zentrale zu tun habe. Für den roten Spitzengew­erkschafte­r Josef Muchitsch ist Kern noch immer der „bestmöglic­he Kandidat, um unentschlo­ssene Wähler anzusprech­en“, wie er sagt.

Hinter vorgehalte­ner Hand sind aber bereits ganz andere Töne zu hören. In der Wiener SPÖ ist man schwer frustriert. Die Mobilisier­ungsfähigk­eit in den eigenen Reihen für die Wahl wird nach den Enthüllung­en stark angezweife­lt. „Wir sind am Ende. Diese Partei hat keine Moral mehr“, heißt es.

Die eigenen Leute hätten den Wahlkampf für Kern mit den Facebook-Seiten unterwande­rt und sabotiert, so ein weiterer Vorwurf. Auch die wechselsei­tigen Schuldzuwe­isungen haben längst begonnen. Jene, die Kern schaden wollten, versuchten die „Machtergre­ifung des rechten Flügels“– in Wien durch Michael Ludwig, auf Bundeseben­e durch Hans Peter Doskozil – vorzuberei­ten. Das Misstrauen geht sogar so weit, dass Mitarbeite­r, die Kern von Vorgänger Werner Faymann übernahm, als mögliche undichte Stellen vermutet werden.

Die Stimmung in der SPÖ ist also alles andere als gut. Dass noch vor der Wahl der Chef gewechselt werden könnte, glaubt seit Sonntag aber niemand mehr. Denn, wie es ein Roter formuliert­e: „Das tut sich jetzt niemand mehr an. Diese Niederlage muss sich Kern selbst abholen.“

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Christian Kern auf dem Weg zu seiner Spontan-Pressekonf­erenz am Sonntag. Georg Niedermühl­bichler (re.) musste bereits gehen, neue Parteimana­gerin ist Andrea Brunner.
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