Wahlkampfaffäre: Kern tritt nicht zurück und verspricht Aufklärung
Taskforce soll Dirty Campaigning untersuchen – Niessl verdächtigt die ÖVP
Wien – SPÖ-Chef Christian Kern hat am Sonntag eine interne Prüfung von Dirty-Campaigning-Vorwürfen angekündigt. Eine Taskforce unter Leitung des SP-Abgeordneten Christoph Matznetter wurde eingesetzt. Für persönliche Konsequenzen sah Kern keine Veranlassung. Parteimanager Georg Niedermühlbichler war am Samstag zurückgetreten, ihm folgen Matznetter und Andrea Brunner nach.
Am Wochenende war publik geworden, dass hinter den Facebook-Seiten „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“und „Wir für Sebastian Kurz“ein Team rund um den früheren SPÖ-Berater Tal Silberstein steckt. Kern wie Nieder- mühlbichler beteuern, nichts von diesen Aktivitäten gewusst zu haben. Parteiintern gibt es allerdings Zweifel an dieser Darstellung.
Kern und weitere hochrangige SPÖ-Politiker stellten Vermutungen an, dass möglicherweise andere Parteien in die SilbersteinAktivitäten involviert gewesen sein könnten. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl sagte dem STANDARD: „Es würde mich nicht wundern, wenn die ÖVP da die Finger im Spiel hätte.“
VP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger sieht noch zahlreiche offene Fragen bei der SPÖ und will unter anderem wissen, warum es keine Prüfung durch SPÖ-unabhängige Experten geben wird.
FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl fordert den Rücktritt Kerns und thematisierte auch ein Finanzinvestment des Kanzlers an der Firma Foresight. Kerns Frau ist dort beteiligt, bis 2015 war es auch ein israelisch-georgischer Millionär, gegen den in Israel ein Verfahren läuft. Eveline Steinberger-Kern betont, diesen Mann nie getroffen zu haben. (red)
Am Sonntagmorgen war sich so mancher Genosse nicht mehr sicher, ob nach dem Bundesgeschäftsführer nicht auch der Parteichef abhandenkommt. Nach stundenlangen internen Beratungen stellte sich Bundeskanzler Christian Kern dann am Nachmittag vor die Presse.
Von Rücktritt war in dem achtminütigen Kurzauftritt keine Rede. Ganz im Gegenteil: Er versprach „volle Aufklärung“, kündigte eine interne Taskforce an, die nun aufarbeiten soll, wie es möglich war, dass ein Team um den israelischen Berater Tal Silberstein Dirty Campaigning über die beiden Facebook-Seiten „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“und „Wir für Sebastian Kurz“betreiben konnte. Wie Presse und Profil am Wochenende aufgedeckt hatten, war neben Silberstein vor allem der PR-Berater Peter Puller, der früher schon für die ÖVP und die Neos gearbeitet hatte (siehe Seite 3), für die Bespielung der Seiten zuständig, die mitunter auch rassistische und antisemitische Schlagseite hatten.
Wie schon zuvor der zurückgetretene Parteimanager Georg Niedermühlbichler versicherte auch Kern, nichts von diesen Aktivitäten Silbersteins gewusst zu haben. Der Abgeordnete Christoph Matz- netter, im Zivilberuf Wirtschaftsprüfer, wurde nun mit der internen Aufarbeitung der Causa beauftragt. Auch der Vertrag mit Silberstein soll offengelegt werden.
Antworten auf die zentralen Fragen konnte der Kanzler noch nicht geben. Etwa auf jene, wer die Truppe außerhalb des SP-Kampagnenteams finanzierte. Das Profil schätzte die Kosten auf 500.000 Euro. Laut Kern-Büro hatte der gesamte Vertrag mit Silberstein ein Volumen von 400.000 Euro. Wegen der vorzeitigen Vertragsauflösung habe man aber nicht alle Tranchen überwiesen.
„Kein vollständiges Bild“
Kern musste einräumen, selbst noch „kein vollständiges Bild“zu haben. Er bestätigte aber, wie zuvor schon Niedermühlbichler, dass ein Mitarbeiter der Zentrale über das Dirty Campaigning Silbersteins informiert gewesen sei. Von Parteikennern wird dieser als Experte für Umfrage und Datenauswertung geschätzt. Ein Roter meint gar: „Einer der Fähigsten bei uns.“Die Version, der Mitarbeiter, der derzeit im Krankenstand ist und für den STANDARD nicht erreichbar war, habe in Eigenregie gehandelt, wird von vielen bezweifelt. „Dafür ist er nicht der Typ.“Ein anderer meint gar: Niedermühlbichler sei informiert gewesen – er habe das intern einmal ausgeplaudert.
Erzählt wird SP-intern auch von einer Silberstein-Mitarbeiterin, die nach der Vertragskündigung am 14. August damit gedroht habe, „die Sache auffliegen“zu lassen, wenn die SPÖ das Team nicht weiter beschäftige. All diesen Fragen soll sich nun die Taskforce widmen.
Eine Entschuldigung bei ÖVPChef Sebastian Kurz kam Kern beim Pressetermin nicht über die Lippen. Der SPÖ-Chef betonte vielmehr, dass „zwei Drittel“der Inhalte auf den Facebook-Seiten gegen ihn selbst gerichtet gewesen seien. „Wie unmoralisch muss man sein, um so etwas in Auftrag zu geben?“, sagte Kern, um auch noch eine andere Dirty-CampaigningSeite names „Die Wahrheit über Christian Kern“in Erinnerung zu rufen. Der SPÖ-Chef kündigte zudem an, sich rechtlich gegen jeden zu wehren, der der SPÖ geschadet hat, betonte aber auch, dass es sich aus seiner Sicht nicht nur um eine SPÖ-interne Affäre handle. Wörtlich sprach er von „interessanten Querverbindungen zu anderen Parteien“und einer „Beschleunigung der negativen Töne“auf den Facebook-Seiten nach der SilbersteinKündigung.
In welche Richtung der rote Spin geht, machte der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl noch deutlicher: „Es würde mich nicht wundern, wenn die ÖVP da die Finger im Spiel hatte“, sagte er zum STANDARD. Die neuerdings Türkisen seien „die Letzten, bei denen wir uns entschuldigen müssen – mit ihrer Art von Politik“.
Granden hinter Kern
Nach außen hin zeigte man sich am Sonntag folglich um Geschlossenheit bemüht. Für Niessl gibt es „überhaupt keinen Grund“, an Kern zu zweifeln. Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser hält Kerns Vorgangsweise für „völlig richtig“. Bedauerlich sei natürlich, „mit welchem Dilettantismus“es der Parteichef mitunter in der Zentrale zu tun habe. Für den roten Spitzengewerkschafter Josef Muchitsch ist Kern noch immer der „bestmögliche Kandidat, um unentschlossene Wähler anzusprechen“, wie er sagt.
Hinter vorgehaltener Hand sind aber bereits ganz andere Töne zu hören. In der Wiener SPÖ ist man schwer frustriert. Die Mobilisierungsfähigkeit in den eigenen Reihen für die Wahl wird nach den Enthüllungen stark angezweifelt. „Wir sind am Ende. Diese Partei hat keine Moral mehr“, heißt es.
Die eigenen Leute hätten den Wahlkampf für Kern mit den Facebook-Seiten unterwandert und sabotiert, so ein weiterer Vorwurf. Auch die wechselseitigen Schuldzuweisungen haben längst begonnen. Jene, die Kern schaden wollten, versuchten die „Machtergreifung des rechten Flügels“– in Wien durch Michael Ludwig, auf Bundesebene durch Hans Peter Doskozil – vorzubereiten. Das Misstrauen geht sogar so weit, dass Mitarbeiter, die Kern von Vorgänger Werner Faymann übernahm, als mögliche undichte Stellen vermutet werden.
Die Stimmung in der SPÖ ist also alles andere als gut. Dass noch vor der Wahl der Chef gewechselt werden könnte, glaubt seit Sonntag aber niemand mehr. Denn, wie es ein Roter formulierte: „Das tut sich jetzt niemand mehr an. Diese Niederlage muss sich Kern selbst abholen.“