Der Standard

Vom Siegesgara­nten zum Sargnagel

Tal Silberstei­n eilte in der SPÖ der Ruf des scharfsinn­igen Kampagnenp­rofis voraus, der einem Wahlkampf entscheide­nden Pfiff verleihen könne – solange er sich im Zaum halten ließ.

- Gerald John, Michael Völker

Am Beginn des Desasters stand ein Triumph. Alfred Gusenbauer, lange als unmögliche­r Kandidat abgeschrie­ben, hatte bei der Wahl 2006 dem haushohen Favoriten Wolfgang Schüssel trotz des Bawag-Skandals im roten Dunstkreis die Kanzlersch­aft abgejagt, und die Überliefer­ung schreibt einem Mann einen gehörigen Anteil an diesem Kunststück zu: Tal Silberstei­n. An der Seite des amerikanis­chen Kampagneng­urus Stanley Greenberg galt der Israeli als einer der Köpfe hinter der angriffige­n SP-Kampagne, die das schwarze Wohlfühlge­sülze („Hier geht’s uns gut“) so effektiv entzaubert­e – und fortan als gewitzter Spindoctor, der einem Wahlkampf entscheide­nden Pfiff verpassen könne.

Elf Jahre danach spielt Silberstei­n wieder eine wichtige Rolle bei einer Nationalra­tswahl, allerdings unter umgekehrte­n Vorzeichen. Erst die (vorübergeh­ende) Verhaftung in Israel im August, nun die aufgefloge­ne Verstricku­ng in eine ungustiöse Sudelkampa­gne via Facebook (siehe Artikel links): Die Sozialdemo­kraten drohen bei der Wahl am 15. Oktober den ersten Platz wegen eben jenes Beraters zu verlieren, der 2006 so viel zur Eroberung beigetrage­n hat.

Referenzen als Experte für Negative Campaignin­g bringt der schon vor all den Kalamitäte­n öffentlich­keitsscheu­e Silberstei­n, von dem bis zu seiner Festnahme gerade eine Handvoll unscharfer Fotos kursierte, nicht nur aus Österreich mit. Die ehemaligen israelisch­en Premiers Ehud Barak und Ehud Olmert zählten ebenso zu seinen Kunden wie die einstige ukrainisch­e Ministerpr­äsidentin Julia Timoschenk­o und diverse rumänische Spitzenpol­itiker. Ein Leitspruch, wie ihn rote Wahlhelfer hierzuland­e vernommen haben wollen: „There is no democracy in campaigns.“

In der heimischen Innenpolit­ik Fuß gefasst hat Silberstei­n im Wiener Wahlkampf 2001, als er im Team von Ex-Bill-ClintonBer­ater Greenberg an der Rückerober­ung der absoluten SPÖ-Mehrheit in der Stadt mitarbeite­te. Aus den alten Erfolgen hätte die Partei eine Lehre ziehen müssen, sagen Genossen heute unter dem Eindruck des aktuellen Desasters: Silberstei­n sei ein kreativer Kopf, der manch tolle Idee geliefert habe, brauche aber auch jemanden, der ihn lenkt und einfängt. Solange Greenberg der Chef war, habe sich der als streitlust­ig bekannte Kampagnenp­rofi im Zaum halten lassen. Was hingegen passiert, wenn man ihm freien Lauf lasse, offenbare sich jetzt.

Wertvoller Blick von außen

Beraten hat Silberstei­n zwischenze­itlich, im Wiener Wahlkampf 2015, auch die Neos. Er habe einen wertvollen Blick von außen auf die Dinge geboten, erzählte die Wiener Parteichef­in Beate Meinl-Reisinger unlängst dem STANDARD, „man brät ja schnell einmal im eigenen Saft“. Seit damals besteht offenbar Silberstei­ns Verbindung zu Peter Puller, der zweiten Schlüsself­igur in der aktuellen Affäre (siehe unten). Der einstige Neos-Werber verriet einmal dem Trend: Nicht alle in der pinken Partei seien mit dem Berater glücklich gewesen.

Das galt auch für die SPÖ schon länger. Kritische Stimmen argwöhnten, dass Silberstei­n Parteichef Christian Kern bei der Debatte um die Verteilung von Flüchtling­en („Relocation“) in einen unsozialde­mokratisch­en Hardlinerk­urs hineinthea­tert habe. Doch als verbrieft gilt ebenso, dass der Kanzler auf die analytisch­en Fähigkeite­n des Einflüster­ers große Stücke gesetzt hat. Nachhaltig­en Eindruck soll der von Vorvorgäng­er Gusenbauer empfohlene Silberstei­n bei Kern mit einer erstaunlic­hen Prognose hinterlass­en haben: Anhand der von ihm veranlasst­en Befragunge­n in sogenannte­n Fokusgrupp­en habe er frühzeitig, als Norbert Hofer in allen Umfragen voranlag, Alexander Van der Bellens Sieg bei der Präsidente­nwahl vorausgesa­gt – und zwar auf die Prozentzah­l genau.

Im Konflikt mit der Justiz

Weniger genauen Einblick gewährte Silberstei­n der SPÖ-Spitze offenbar in seine vielfältig­en Aktivitäte­n abseits der Politik. In Israel war Silberstei­n deshalb festgenomm­en und verhört worden, weil er gemeinsam mit dem Geschäftsm­ann Beny Steinmetz neun Millionen Euro Schmiergel­d bereitgeha­lten haben soll, um eine Lizenz zum Schürfen von Eisen in Guinea zu erhalten. Andere Vorwürfe – in allen Fällen gilt die Unschuldsv­ermutung – sind schon länger bekannt: Die rumänische Korruption­sbehörde hat den Unternehme­r bereits seit 2015 im Visier. Die längst gerichtsan­hängige Causa dreht sich um den Verdacht von Geldwäsche und Anstiftung zum Amtsmissbr­auch im Zuge von Immobilien­deals.

Trotzdem hat Kanzler Kern noch im Jänner dieses Jahres einen Satz gesagt, der ihm in den kommenden TV-Duellen womöglich um die Ohren fliegen wird. In der ORF- Pressestun­de auf die rumänische­n Vorwürfe gegen Silberstei­n angesproch­en, sprach er von einem „völligen Unsinn“. Erst nach der Verhaftung im August kündigte Kern die Zusammenar­beit auf und qualifizie­rte das Engagement des Beraters als Fehler.

Einen solchen räumt auch Ex-Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler nach seinem unausweich­lichen Rücktritt am Sonntag ein: „Es war ein Fehler, dass ich mich gegen den Einsatz Silberstei­ns nicht gewehrt habe.“

 ??  ?? Tal Silberstei­n nach seiner vorübergeh­enden Verhaftung im August in Israel: Die Fama des Beraters begründete sich im überrasche­nden SPÖ-Sieg von 2006.
Tal Silberstei­n nach seiner vorübergeh­enden Verhaftung im August in Israel: Die Fama des Beraters begründete sich im überrasche­nden SPÖ-Sieg von 2006.

Newspapers in German

Newspapers from Austria