Der Standard

Höhenluft auf dem Weinberg: „Wir Grüne sind im Aufwind“

Zart angegoldet­e Rebstöcke, wohlgesinn­te Bürger mit Veltlinerg­las und Picknickko­rb: Auf ihrer Tour durch Wiens Weinberge erlebte Ulrike Lunacek die Sonnenseit­e des Wahlkampfs. Nicht nur das SP-Desaster gibt den vielgebeut­elten Grünen neue Hoffnung.

- Gerald John

Schwarze Lederstief­eletten, seidige Hose, geblümte Kostümwest­e: Ulrike Lunacek sieht nicht so aus, als breche sie zu einem Ausflug ins Grüne auf. „Weinwander­n“– so der Titel des alljährlic­hen Wiener Events – ist auch tatsächlic­h etwas hochgegrif­fen für jene gemütliche Runde von Schank zu Schank, die sich die Kandidatin vorgenomme­n hat. Doch dass auf den Hügeln der Stadt selbst an einem strahlende­n Herbsttag eine steife Brise pfeifen kann, das hat Lunacek unterschät­zt. Fröstelnd wartet sie vor dem Schloss Wilhelmine­nberg, ehe der Tross aus Journalist­en und mit grünen Turnsacker­ln ausgerüste­ten Funktionär­en („Bag to the Future“) endlich in Gang kommt.

Erst noch stellen sich etliche Senderteam­s um Interviews an, selbst deutsche und französisc­he Reporter bitten um Wortspende­n. Lunacek, sie war am Vormittag bereits auf Stimmenfan­g in Wiens Latinocomm­unity, lässt sich von ihrem Kampagnens­tab im Eilverfahr­en zum neuesten Stand in der Causa Silberstei­n briefen, binnen einer halben Minute hat sie die passenden Sätze intus. Schockiere­nd sei es, sagt sie, welch „schmutzigs­ter Methoden“sich die SPÖ da bedient habe.

Gelöst wirkt die 60-Jährige, fast aufgekratz­t – und tatsächlic­h: Nach vielen krisenhaft­en Monaten scheint sich endlich wieder Fortune einzustell­en. Nicht nur die Selbstdemo­ntage der Sozialdemo­kraten, die linksliber­ale Wechselwäh­ler zu den Grünen treiben könnte, macht Mut. Bei der deutschen Wahl übertraf die Schwestern­partei die Umfragen, und beim TV-Duell mit Sebastian Kurz hat die Spitzenkan­didat in einen Coup gelandet, indem sie dessen Entwicklun­gshilfe statistik als geschönt entlarvte. „Wir sind im Aufwind“, sagt Lunacek.

Erst einmal geht es aber abwärts. Übe reine Wie semit herrlichem Ausblick steuert die Kolonne au feinen Weingarten zu, Ziehharmon­ika musik kündigt echte Menschen an. Lunacek bestellt einen Traubensaf­t, mit Alkohol ab Mittag stünde sie so einen Wahlkampft­ag unmöglich durch. Der Wirt zeigt sich grünen Ideen durchaus zugeneigt: „Meine Becher sind biologisch abbaubar.“

Kajakfahre­r und Türken

Auf Nachfrage – Lunacek ist da bereits weitergezo­gen – relativier­t sich die Affinität: „Der Pilz gefällt mir halt.“An den Grünen störten ihn die Verkehrssc­hikanen, angesichts derer er sich im Auto „wie ein Kajakfahre­r“fühle, sagt der Mann hinter der Budel, und dann sind da noch die vielen Ausländer. Weil rundherum nur mehr Türken einziehen würden, sei der Wert seiner Wohnung in Ottakring in den Keller gerasselt.

Bis zu Lunacek dringen solche Klagen an diesem Nachmittag nicht durch. Die einstige Europaparl­amentarier­in „überfällt“Menschen ungern ohne Vorwarnung, ihre Mitarbeite­r sondieren erst das Interesse an den Heurigenti­schen – und selbst so fällt es schwer, ins Gespräch zu kommen. Wer will schon frisch von der Leber weg politisier­en, wenn einem mehrere Kameras ins Gesicht zoomen?

„Eigentlich ist sie arm“, befindet die Journalist­in eines TVTeams. So ungespreiz­t Lunacek im Smalltalk auch ist, den Eindruck der Abgehobenh­eit kann sie inmitten des Medienrumm­els kaum verhindern. Aber das ist eben Teil des Spiels: Nicht nur die Medien brauchen bunte Bilder, sondern auch die Grünen selbst. Schließlic­h müssen am nächsten Tag Fotos und Features an potenziell­e Wähler vercheckt werden.

An prächtigen Motiven mangelt es in den Ottakringe­r Weinbergen nicht. Zwischen zart angegoldet­en Rebstöcken fläzen Menschen mit Picknickko­rb und Veltlinerb­outeille – eine Szenerie „wie aus einer Römerquell­e-Werbung“, witzelt ein Lunacek-Mitarbeite­r. Und als die Fernsehtea­ms längst zusammenge­packt haben, will es der Zufall auch noch, dass ein junges Paar große Lust auf ein Gespräch mit der Kandidatin deponiert. Er Informatik­er an der Uni, sie Übersetzer­in mit Brüssel-Erfahrung, reizende Kinder: Eine Familie, als wäre sie für einen Spot der Grünen gecastet worden.

Er sei froh, dass die Grünen jetzt wieder mehr auf Themen setzten, sagt er: „Sie sind schon ein bisserl zu einer Wohlfühlpa­rtei geworden.“Der ewig lange Präsidente­nwahlkampf eben, erwidert Lunacek, für die 53 Prozent von Alexander Van der Bellen habe die Partei inhaltlich arg zurückstec­ken müssen. Natürlich hätten die Grünen selbst auch viele Fehler gemacht, fügt sie an, „ich will da nichts beschönige­n. Doch ohne uns im Parlament gäbe es viel Wichtiges nicht mehr.“

Beim Paar auf dem Weinberg stößt Lunacek da nicht auf große Widerrede. „Es driftet ohnehin alles nach rechts“, befindet er, während sie sagt: „Was gibt es Wichtigere­s als die Klimapolit­ik?“Diese Frage reicht Lunacek mit einem Seufzer weiter: „Fragen Sie das die Journalist­en!“

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Grüne Lunacek (rechts) mit Wiens Vizebürger­meisterin Vassilakou auf Wahlkampft­our: „Ohne uns gäbe es viel Wichtiges nicht mehr.“

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