Der Standard

Viele Völker träumen von der Trennung

Immer wieder treten in Europa separatist­ische Bewegungen auf den Plan. Manche führen ein Nischendas­ein am Rande der politische­n Folklore, andere sorgen für blutige Krisen oder für völkerrech­tliches Kopfzerbre­chen.

- Gerald Schubert

Wien – Kaum eine Woche vor dem Versuch der Katalanen, sich per Volksabsti­mmung von Madrid loszusagen, weckte ein weiteres Unabhängig­keitsrefer­endum Ängste vor gewalttäti­gen Konflikten und unvorherse­hbaren politische­n Folgen: Mehr als 93 Prozent der Kurden im Nordirak haben sich vergangene­n Montag für einen eigenen Staat ausgesproc­hen – und sorgten damit für Nervosität in Bagdad und in den Nachbarsta­aten Iran und Türkei, wo es ebenfalls kurdische Minderheit­en gibt.

Doch auch innerhalb Europas steht Katalonien mit seinen Abspaltung­sgelüsten nicht allein da. Spanien selbst blickt auf den jahrzehnte­langen Konflikt mit baskischen Separatist­en zurück – und auf den Terror der Eta. In Großbritan­nien wiederum gibt es den Traum von der Unabhängig­keit Schottland­s, der allerdings längst nicht von allen Schotten mitgeträum­t wird: Bei einer Abstimmung im September 2014 sprachen sich mehr als 55 Prozent für den Verbleib im Vereinigte­n Königreich aus. Nach der Brexit-Entscheidu­ng im vergangene­n Jahr wurde bei den traditione­ll eher EU-freundlich­en Schotten dann der Ruf nach einem neuerliche­n Referendum laut.

Premiermin­isterin Nicola Sturgeon aber kündigte an, damit auf jeden Fall warten zu wollen, bis die Bedingunge­n des Brexits geklärt seien. Seither spukt sogar die „Grönland-Variante“in manchen Köpfen herum: 1985 war Grönland aus der damaligen EWG, der Vorgängero­rganisatio­n der EU, ausgetrete­n, blieb aber Teil des Königreich­s Dänemark, das wiederum bis heute Mitglied der Europäisch­en Union ist. Dies zeigt zwar, dass auch nur Teile eines Staatsgebi­ldes der EU angehören können, doch hinsichtli­ch der Austrittsp­rozedur hinkt der Vergleich gewaltig: Dass London den Brexit am Ende für das Vereinigte Königreich minus Schottland aushandelt, dürfte heute wohl niemand ernsthaft annehmen.

Faktor Wirtschaft­skraft

In Katalonien, wo ebenfalls viele Separatist­en in der EU bleiben wollen, trägt auch die traumatisc­he Erinnerung an die FrancoDikt­atur zur Festigung eines eigenen Nationalbe­wusstseins bei. Gleichzeit­ig aber handelt es sich dabei nicht um den einzigen europäisch­en Fall, bei dem sich zumindest Teile der Bevölkerun­g einer reicheren Region vom wirtschaft­lich schwächere­n Mutterland trennen wollen. Ähnliches nämlich gilt für den belgischen Landesteil Flandern oder für Pa- danien, die Fantasiege­burt rechtspopu­listischer Parteien in Nordund Mittelital­ien. Die norditalie­nischen Regionen Lombardei und Venetien wiederum wollen am 22. Oktober zumindest eine Volksbefra­gung über „zusätzlich­e Formen der Autonomie“abhalten.

Auch Paris sieht sich mit Unabhängig­keitsbeweg­ungen konfrontie­rt, etwa in der westfranzö­sischen Bretagne oder auf der Insel Korsika. Während beide – trotz Anschlägen in der Vergangenh­eit – vor allem Insider beschäftig­en dürften, sorgen Separatist­en und deren Unterstütz­er in den Nach- folgestaat­en der Sowjetunio­n und Jugoslawie­ns für Instabilit­ät oder veritable Krisen – in der Ostukraine, den georgische­n Regionen Abchasien und Südossetie­n, im moldauisch­en Transnistr­ien sowie in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowin­a.

Los von Böhmen

Rund um ein paar mährische Separatist­en, die sich von Böhmen – und damit aus der Tschechisc­hen Republik – verabschie­den wollen und die im Zuge des Zerfalls der Tschechosl­owakei vor knapp 25 Jahren einige mediale Aufmerksam­keit erhielten, ist es hingegen ruhig geworden – was freilich nicht heißt, dass es sie nicht mehr gibt. Selbst in Deutschlan­d, das derzeit als politische­r Stabilität­sanker in Europa gilt, gibt es mit der Bayernpart­ei eine Gruppierun­g, die mit dem Austritt aus dem deutschen Staatsverb­and liebäugelt.

Dazu kommen noch all jene Separatist­en, die sich nicht in die Unabhängig­keit verabschie­den, sondern sich einem anderen Staat anschließe­n wollen oder wollten – in Südtirol, in Nordirland, im Kosovo oder zuletzt auf der Krim.

 ??  ?? Schottland­s Premiermin­isterin Nicola Sturgeon (vorne) im Mai 2016 mit Abgeordnet­en ihrer Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNS). Die Statue im Hintergrun­d ist auch Symbol für die Kraft des Landes.
Schottland­s Premiermin­isterin Nicola Sturgeon (vorne) im Mai 2016 mit Abgeordnet­en ihrer Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNS). Die Statue im Hintergrun­d ist auch Symbol für die Kraft des Landes.

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