Der Standard

„Die autoritäre Versuchung ist wieder Thema“

Diskussion „Europa im Diskurs“über die Verantwort­ung in einer digital-globalen Welt

- Peter Mayr

Wien – Ob Krieg, Klimawande­l, Migration oder Flucht und Vertreibun­g: Wo beginnt die Verantwort­ung des Einzelnen? Und vor allem: Wo endet sie? Bei der Familie? Beim Nachbarn? Im eigenen Land?

Die Fragestell­ung der vom Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen (IWM), der ErsteStift­ung, dem Burgtheate­r, der deutschen Botschaft und dem STANDARD organisier­ten Matinee im Rahmen von „Europa im Diskurs“lautete daher auch: „Wie steht es um die Verantwort­ung in einer digital-globalen Welt?“.

Anlässlich des Reformatio­nsjahres – vor 500 Jahren veröffentl­ichte Martin Luther seine Thesen – suchten am Sonntagvor­mittag im Burgtheate­r neben dem evangelisc­hen Bischof Michael Bünker die Politologi­n Ulrike Guérot, die Soziologin und IWM-Leiterin Shalini Randeria, die Friedensak­tivistin und evangelisc­he Theologin Viola Raheb und Heide Schmidt, Ex-Chefin des Liberalen Forums, nach Antworten.

Moderatori­n Renata Schmidtkun­z, Leiterin der Ö1-Sendereihe Im Gespräch, stellte dafür an den Beginn ein Luther-Zitat: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“Wie relevant sei das Einstehen für die eigene Ansicht, das Gewissenha­ben, in einem Land wie Österreich, wo etwa Rede- und Pressefrei­heit herrsche? Für Heide Schmidt werden hier Theorie und Praxis vermischt. Denn in der „Praxis wird das nicht immer gelebt“. Schmidt warnte auch davor, dass eine Stimmung erzeugt würde, als „ob Verantwort­ung an einer Grenze aufhört“.

Politologi­n Guérot und Soziologin Randeria sehen vor allem eine gesellscha­ftliche Veränderun­g. Wir würden in einer „individual­istischen und zerbröckel­ten Gesellscha­ft“leben, sagte Guérot. Randeria sprach davon dass Gesellscha­ft mehr als Familie begriffen werde, und dies lasse andere Bindungen zu: „Ich kann Leute ausschließ­en, sagen, sie gehören nicht zur Familie.“Der Fortschrit­tsglaube sei jedenfalls passé, folgerte Bünker und stellte die Frage, „wie wir es bewerkstel­ligen, allen Menschen im Land ein zuträglich­es Leben zu ermögliche­n“. Schmidt hatte davor ihren Ansatz deponiert: mit einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen.

An den Rand Gedrängte

Wobei die Grenzen, die angesproch­en würden, nicht nur Ungerechti­gkeiten bezüglich anderer Länder auf der Welt seien, sagte Theologin Raheb: „Die an den Rand Gedrängten gibt es auch hier – nicht nur in Afrika.“Und, folgerte sie: „Was heißt das mit Blick auf den 15. Oktober, also die Nationalra­tswahl?“Ein Punkt, den die Dis- kutanten allesamt aufgriffen. So wies Soziologin Randeria auf die bestehende­n Einengunge­n des Wahlrechts hin: „Ich zahle Steuern in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz – und nirgendwo darf ich wählen.“Dies betreffe hunderttau­sende Migranten in ganz Europa.

Heide Schmidt ging insofern darauf ein, dass jemand, der für sein Gewissen eintrete, negative Konsequenz­en fürchten müsse – auch in der Politik. Im Konkreten nannte sie als Beispiel, dass ein Abgeordnet­er nicht mehr von seiner Partei aufgestell­t werden könnte. Ohne ihn zu nennen, kritisiert­e sie diesbezügl­ich ÖVP-Obmann Sebastian Kurz: „Wenn alle von einem Chef besetzt werden, ist das strafversc­härfend.“

Während für Guérot „die autoritäre Versuchung wieder Thema ist“, warnte Bünker vor dem Sozialabba­u, doch er sagte auch: „Ich bin kein Optimist, aber von unzerstörb­arer Hoffnung.“Der Nachsatz kam von Viola Raheb: „Hoffnung ist, was wir tun.“Die Aufzeichnu­ng der Matinee ist am 2. 11. um 21.00 Uhr auf Ö1 zu hören.

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Wie steht es um die Eigenveran­twortung? Moderiert von Renata Schmidtkun­z (Ö1, Dritte von rechts) begab man sich auf Spurensuch­e.

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