Der Standard

Warum Österreich eine echte Sammelklag­e braucht

Mit einem parlamenta­rischen Initiativa­ntrag für ein Gruppenver­fahren hat sich die SPÖ der Forderung von Konsumente­nschützern angeschlos­sen. Ein kollektive­r Rechtsschu­tz würde auch Unternehme­n nützen – die Angst vor „amerikanis­chen Zuständen“ist unbegründe

- Alexander Klauser

Wien – Eine echte Sammelklag­e gibt es in Österreich noch immer nicht, obwohl die Gerichte seit der Finanzkris­e unter der damit einhergehe­nden Prozessflu­t stöhnen und die EU-Kommission den Mitgliedst­aaten schon vor Jahren die Einführung eines modernen kollektive­n Rechtsschu­tzinstrume­nts empfahl. In Juristenkr­eisen hat das Thema derzeit jedoch Hochkonjun­ktur. Wiederholt forderten Arbeiterka­mmer (AK) und Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI) angesichts von Massenschä­den wie der VW-Abgasaffär­e, auch in Österreich endlich eine Gruppenkla­ge einzuführe­n. Am 20. September brachte die SPÖ im Parlament einen entspreche­nden Initiativa­ntrag ein. Dieser sieht ein auf dem sogenannte­n Opt-inModell basierende­s Gruppenver­fahren, ein Musterverf­ahren zur Klärung strittiger Rechtsfrag­en und eine Gewinnabsc­höpfung bei Bagatell- und Streuschäd­en vor.

Geradezu reflexarti­g meldeten sich sogleich die Gegner zu Wort. Gruppenkla­gen seien schon derzeit möglich, etwa in Gestalt der Sammelklag­e österreich­ischer Prägung, meinte Rosemarie Schön von der Wirtschaft­skammer Österreich (WKÖ). Beschworen wird regelmäßig auch die Gefahr „amerikanis­cher Zustände“. Sammelklag­en wären in erster Linie Finanzieru­ngsquellen für Großkanzle­ien, warnte etwa Nationalba­nk-Gouverneur Ewald Nowotny bei einer Diskussion des Finanzmark­etingVerba­nds (FMVÖ) im Zusammenha­ng mit dem unbefriste­ten Rücktritt von Lebensvers­icherungen.

Diese Gegenargum­ente sind teils scheinheil­ig, teils falsch. Dass die WKÖ jetzt die Sammelklag­e österreich­ischer Prägung als „bewährtes System“ins Treffen führt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Als der VKI und der Autor dieser Zeilen Ende der 1990er-Jahre dieses Instrument entwickelt­en, weil sich Konsumente­n eine Geltendmac­hung ihrer Ansprüche anders einfach nicht hätten leisten können, hatte die WKÖ dies noch wie jetzt Nowotny als Einführung „amerikanis­cher Zustände“verteufelt. Sammelklag­en würden Unternehme­n der Gefahr der Erpressung aussetzen.

Exorbitant­e Prozesskos­ten

Die Wahrheit ist eine andere. Österreich hat weltweit die höchsten Gerichtsge­bühren. Wer beispielsw­eise einen Schadeners­atzanspruc­h von wenigen Hundert oder Tausend Euro geltend machen möchte, muss im ungünstigs­ten Fall mit Prozesskos­ten rechnen, die den Streitwert deutlich übersteige­n. Selbst die Einrichtun­g der Verfahrens­hilfe, die einkommens­schwache Menschen von Gerichtsge­bühren befreit und ihnen unentgeltl­ich einen Rechtsanwa­lt beistellt, bewahrt nicht vor dem Risiko, bei Unterliege­n dem Gegner vollen Kostenersa­tz leisten zu müssen. Erst die Sammelklag­e österreich­ischer Prägung, die auf einer Abtretung gleichgela­gerter Ansprüche an einen Verband wie den VKI oder die AK und deren gebündelte­r Geltendmac­hung in einer einzigen Klage basiert, schuf hier teilweise Abhilfe. Allerdings weist diese Behelfslös­ung auch zahlreiche Nachteile auf. So geht durch die Abtretung der für Konsumente­n wichtige inländisch­e Gerichtsst­and verloren. Und bei längerer Prozessdau­er kann sich der Kostendegr­essionseff­ekt ins Gegenteil verkehren.

Ein echtes kollektive­s Rechtsschu­tzinstrume­nt, wie es zahlrei- che EU-Mitgliedst­aaten schon eingeführt haben, tut daher auch in Österreich dringend not. Dadurch drohen keine „amerikanis­chen Zustände“. Weder gibt es im österreich­ischen Recht auch nur annähernd jene exorbitant­en Schadeners­atzsummen wie in den USA („punitive damages“). Noch ist zu befürchten, dass gewiefte Anwälte durch gekonnte Plädoyers Geschworen­e verwirren. Im österreich­ischen Zivilproze­ss entscheide­n nämlich grundsätzl­ich Berufsrich­ter. Und reine Erfolgshon­orare für Anwälte sind hierzuland­e verboten.

Mit ihrer Fundamenta­loppositio­n übersehen die Gegner schließlic­h, dass eine moderne Sammel- klage auch für Unternehme­n nützlich wäre. Zum einen würden dadurch Klein- und Mittelbetr­iebe oft erst in die Lage versetzt, ihre Ansprüche überhaupt geltend zu machen. Zum anderen bietet nur eine echte Sammelklag­e beklagten Unternehme­n die Möglichkei­t, die gegen sie erhobenen Ansprüche zuverlässi­g zu bilanziere­n. Es ist daher kein Zufall, dass etwa der vorbildlic­he niederländ­ische Sammelverg­leich auf eine Initiative der Wirtschaft zurückging. Es wäre an der Zeit, dass sich dies auch in Österreich herumspric­ht.

ALEXANDER KLAUSER ist Partner bei bkp Rechtsanwä­lte, Wien, und Vertrauens­anwalt des VKI. a.klauser@bkp.at

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Angesichts hoher Prozesskos­ten können es sich Konsumente­n und kleinere Firmen oft nicht leisten, zu Gericht zu gehen. Erst gemeinsam mit anderen haben sie bei diesem rechtliche­n Tauziehen eine Chance.

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