Der Standard

„Jede Premiere wird eine Art Wiedereröf­fnung“

Nach sieben Jahren Renovierun­g präsentier­t sich die Berliner Staatsoper Unter den Linden ab 3. 10. in neuer Frische. Ein Gespräch mit Matthias Schulz, dem baldigen Alleininte­ndanten.

- Ljubiša Tošić

Wien/Berlin – In der Hitparade europäisch­er Bauverspät­ungen gebührt mit Sicherheit der Hamburger Elbphilhar­monie der Spitzenpla­tz. Dicht dahinter wird wohl die Berliner Staatsoper Unter der Linden landen. Nach sieben (statt drei) Jahren Umbauzeit und 400 (statt 240) Millionen Euro Kosten öffnet sie am Tag der Deutschen Einheit ihre Pforten (3. 10.)

Matthias Schulz, neben Jürgen Flimm Kointendan­t des Hauses, versucht die Odyssee knapp zu erklären: „Man hat unterschät­zt, wie komplex die Anforderun­gen eines Opernhause­s sind und welche Details bis ins Letzte stimmen müssen.“Dazu war ein schwierige­r Untergrund hinzugekom­men: „Das Grundwasse­r ist in diesem Teil Berlins sehr hoch, das neue unterirdis­che Bauwerk, welches das Probebühne­nzentrum mit der Bühne verbindet, musste fast komplett im Wasser gebaut werden“, so Schulz, der ab April 2018 alleiniger Intendant sein wird.

Die nunmehrige Eröffnung ist auch ein Vorspiel. „Die Bühnentech­nik muss erst erlernt werden. Die Hinterbühn­enräume sind nicht fertig, fordern Flexibilit­ät. Die Maske etwa muss die ersten Vorstellun­gen, die wir als ,Präludium‘ auffassen, wie ein Gastspiel betrachten, Kostümumzü­ge müssen auf der Seitenbühn­e in provisoris­chen Garderoben bewältigt werden. Danach verlassen wir das Haus ja wieder für einige Wochen“, um im Dezember wohl die eigentlich­e Eröffnung zu vollziehen. Schulz tröstet – nebst dem Erreichten – auch die Geschichte: „1742 gab es eine ähnliche Situation. Es soll eine Dezember-Eröffnung gegeben haben, bei der man stehen oder auf Bierbänken sitzen musste. Die eigentlich­e Eröffnung fand fast ein Jahr später statt. Die Zahl 1743 ist auch in römischen Ziffern am Portikus verewigt.“

Dem Besucher wird auch eine andere, erneuerte alte Geschichte auffallen: „Das Haus erstrahlt wieder in Altrosa! Friedrich der Große hat ja seine repräsenta­tiven Bauten in dieser Farbe halten lassen, das ist nach vielen Jahrzehnte­n nun wieder sichtbar.“Auch betont Schulz als Hingucker „das in Kunstkeram­ik gegossene Netz vor der Nachhallga­lerie. Die Decke wurde im Zuschauerr­aum um etwa fünf Meter angehoben. An diese Stelle ist ein durchlässi­ges Netz aus Rauten gekommen, das dahinter noch Raum für den Klang lässt und sich ästhetisch in den Raum einfügt.“Wichtig für die Akustik: „Durch die erhöhte Decke gibt es ein Drittel mehr Raumvolume­n. Zusätzlich wurde bei der Auswahl aller Materialie­n auf beste akustische Eigenschaf­ten geachtet. Die Nachhallze­it ist ebenso um ein Drittel gestiegen, was Welten bedeutet. Die ersten Proben haben einen durchsicht­igen, warmen, getragenen Klang offenbart.“Jede Premiere dieser Spielzeit, so Schulz, „wird aber eine Art Wiedereröf­fnung, wir werden mit jedem neuen Werk und Bühnenbild dazulernen.“

Arbeit mit Barenboim

Wenn die Verbesseru­ngen akustische­r, logistisch­er, technische­r Art wie auch beim Sitzkomfor­t erst einmal „offenbar werden, wird jeder verstehen, warum das eine notwendige Durststrec­ke war“, so Schulz, der betont, dass sich das Haus weiterhin „internatio­nal messen lassen muss. Daniel Barenboim garantiert seit 25 Jahren höchste Musikquali­tät. Es muss uns auch gelingen, neue ästhetisch­e Lösungen, neue Regisseure zu präsentier­en“, so Schulz, der findet, die Leute hätten „meist eine falsche Vorstellun­g, wie die Arbeit mit Barenboim abläuft“.

„Er fordert eher neue Regienamen – auch für seine Produktion­en. Er hat auch keine Angst vor anderen Dirigenten, er fördert junge Kollegen, wo er kann. Wir sprechen über alles offen und direkt. Außerdem kann auch ich auf meine Weise zäh sein.“

Ein Wort zur deutschen Wahl? „Was uns hier alle beunruhigt, ist, dass es wohl so ein großes Frustpoten­zial gibt, dass sich rechtsradi­kale Tendenzen verstärken. Ich halte es für sehr wichtig, dass sich jetzt die Parteien zu einer JamaikaKoa­lition zusammenra­ufen und trotzdem mutig bleiben. Wenn ich an Klimaschut­z und Digitalisi­erung denke, lassen sich doch auch Hauptziele der kleineren Parteien verankern. Ich hoffe sehr, dass auch die Kultur den Stellenwer­t bekommt, den sie verdient.“pwww. staatsoper-berlin.de

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Matthias Schulz über die lange Umbauphase: „Wenn man einmal die Verbesseru­ngen akustisch, logistisch, technisch, des Sitzkomfor­ts sieht, weiß jeder, warum das eine notwendige Durststrec­ke war.“

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