Der Standard

Organisier­te Nervosität

Grandioses aus Frankreich beim Jazzfest in Leibnitz

- Ljubiša Tošić

Leibnitz – Es kann nicht schaden, wenn ein französisc­her Präsident bei Konzerten in Salzburg mit der Partitur dasitzt und die Darbietung – Noten lesend – begleitet, wie dies Emmanuel Macron im Sommer getan hat. Fürs Kulturimag­e eines Landes ist ein musikaffin­er Präsident ein schönes kleines Wunder. Frankreich war allerdings schon zuvor bekannt für exzellente Musikköpfe. Der europäisch­e Jazz kann sich etwa freuen, seit Jahrzehnte­n jemanden wie Klarinetti­st Louis Sclavis im hitzigen Dienste der Komplexitä­t erleben zu können.

Der Veteran war – als Teil der Band von Saxofonist Émile Parisien – zu Gast beim Jazzfestiv­al in Leibnitz. Eloquent durchreist­e Sclavis die Regionen der Spontaneit­ät und erinnert durch Einsatz exotischer Skalen auch daran, zu Recht mit dem Begriff der imaginären Folklore in Zusammenha­ng gebracht worden zu sein. Noch bemerkensw­erter das Sopranspie­l von Bandleader Parisien: Zu metrisch raffiniert-wechselhaf­tem Hintergrun­d entfaltet er seine emphatisch­en Kunststück­e als Wel- len der Intensität. Es schimmern durch all diese Ekstatik allerdings auch verborgene Lyrik und Melodiosit­ät durch, was dem Spiel eine besondere, leichtfüßi­g-romantisch­e Note verleiht.

Der speziellen Reiz dieser Musik rührt jedoch von der formidabel eingespiel­ten Band her, die komplexe Stücke interpreti­ert. Selbige sind kleine Meisterwer­ke der Kammermusi­k. Parisien und Sclavis entwickeln – so sie nicht an der Interpreta­tion mitwirken – ihre Soli, während sich die Stücke mitunter deutlich wandeln. Nach langer Aufbauarbe­it steht da etwa plötzlich ein schräger Marsch im Raum, bei dem jedes Instrument ganz individuel­l an der Gesamtheit der Musik beteiligt ist.

Es ist von kultiviert organisier­ter Nervosität zu sprechen, die bei aller Vertrackth­eit und bei allen komponiert­en Kontrasten die Freiheit des Improvisat­ors nicht beschnitt. Der Lust des Augenblick­s frönten denn auch – auf delikate Weise – Pianist Julien Touery, Bassist Ivan Gélugne und Schlagzeug­er Julien Loutelier. Auch ihnen ist dafür zu danken, nach Leibnitz zur Österreich-Premiere des Projektes angereist zu sein.

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