Der Standard

Krieg im Jemen: Mehr Dialog wagen

Eine schnelle Lösung für den Jemen wird es nicht mehr geben. Es wird Geduld und vor allem den Mut zu mehr Dialog von allen Seiten brauchen, um diesen schrecklic­hen Konflikt zu beenden.

- Marie-Christine Heinze

Vorvergang­ene Woche Donnerstag jährte sich zum dritten Mal der Tag, der im jemenitisc­hen kollektive­n Gedächtnis mit der Einnahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthi-Rebellen 2014 in Verbindung gebracht wird. Seit dem Rücktritt der Regierung sowie Präsident Abd Rabbu Mansur Hadis und der Vollendung ihres Coups im Rahmen einer „Verfassung­serklärung“im Frühjahr 2015 kontrollie­ren die Huthis gemeinsam mit ihrem Bündnispar­tner Ali Abdallah Salih den Norden des Jemen.

Korruption unter den Huthis

Über ihr Vorgehen dringt wenig nach außen, aber internatio­nale Organisati­onen wie Human Rights Watch haben immer wieder auch auf die gravierend­en Menschenre­chtsverlet­zungen vonseiten der Huthis hingewiese­n. Entführung­en und Folter von Kritikern, insbesonde­re von Journalist­en und Mitglieder­n der Zivilgesel­lschaft, sind an der Tagesordnu­ng, ebenso wie die für alle sichtbare Korruption, die die Villen der HuthiElite in Sanaa aus dem Boden sprießen lässt.

Die Huthi/Salih-Allianz hat sich gut in Sanaa eingericht­et. Die Hinweise der letzten Wochen auf ein mögliches Auseinande­rbrechen dieser Allianz zweier ehemaliger Erzfeinde werden sich wohl nicht bewahrheit­en – zu sehr sind beide aufeinande­r angewiesen; vor allem, wenn es um eine Stärkung der eigenen Verhandlun­gsposition gegenüber der internatio­nal anerkannte­n Regierung geht. Und die Huthis verlieren zwar in der Bevölkerun­g aufgrund ihrer Brutalität und offensicht­lichen Korruption zunehmend an Unterstütz­ung, aber solange Saudi-Ara- bien Luftangrif­fe auf die Hauptstadt und andere Landesteil­e fliegt, können sie und Salih sich als die „Verteidige­r des Jemen gegen den saudischen Aggressor“gerieren.

Der Konflikt stärkt sie, auch, weil sie sich lukrative Einkommens­möglichkei­ten durch eine florierend­e Kriegsökon­omie sichern können. Währenddes­sen hungert die Bevölkerun­g.

Hieran trägt natürlich auch Saudi-Arabien durch seine Blockadepo­litik und seine Bombardeme­nts von Farmen, Lebensmitt­elindustri­e, Krankenhäu­sern und wichtiger Infrastruk­tur eine große Mitschuld. Nahrung ist längst zu einer weiteren Waffe in diesem brutalen Krieg geworden. Dabei sta- gnieren seit Herbst 2015 die militärisc­hen Fronten, und längst ist allen Akteuren bewusst: Eine militärisc­he Lösung des Jemen-Konfliktes wird es nicht geben.

Aber je länger sich der Konflikt hinzieht, desto schwierige­r wird es werden, eine politische Lösung zu finden. Die Anzahl an kriegsinvo­lvierten Gruppierun­gen nimmt stetig zu, und längst fordern internatio­nale Beobachter eine Ausweitung der UN-geführten Friedensve­rhandlunge­n auf weitere Akteure.

Dafür müssten diese Verhandlun­gen jedoch erst einmal stattfinde­n. Seit Monaten bemüht sich der Sondergesa­ndte der Vereinten Nationen für den Jemen, Ismail Ould Cheikh Ahmed, vergeblich um eine Wiederbele­bung des Friedenspr­ozesses. Seine Initiative für eine Lösung bezüglich des wichtigen Hafens von al-Hudayda, der sich unter Huthi-Kontrolle befindet, sollte beide Seiten wieder an den Verhandlun­gstisch bringen und Vertrauen für weitere Verhandlun­gen schaffen. Sie wurde jedoch vonseiten der Huthis abge- lehnt. Sie werfen Ould Cheikh Ahmed vor, im Namen der Saudis zu agieren.

Dennoch gibt es doch viel Raum für Dialog und Kompromiss. Hunderte von Verhandlun­gen auf lokaler Ebene laufen derzeit unter der Mediation von Stammessch­eichs und anderen wichtigen Persönlich­keiten. Hier geht es um Gefangenen­austausch, aber auch um wichtige Versorgung­srouten oder lokale Konfliktlö­sungen. Darüber hinaus engagiert sich auch eine zunehmend größere Anzahl internatio­naler Organisati­onen mit der Hilfe lokaler zivilgesel­lschaftlic­her Partner bei der Zurverfügu­ngstellung von Dialogform­aten für die Konfliktpa­rteien.

Viele Ansatzpunk­te

Die Zielvorste­llungen dieser Formate variieren: Manche fokussiere­n auf die Wirtschaft, manche auf die Spannungen im Süden, andere haben wechselnde Themen, je nach Interessen­lage. Wichtig ist jedoch, dass sie Gesprächsk­anäle offenhalte­n und hier formuliert­e Lösungsvor­schläge in den von den Vereinten Nationen geführten Prozess einspeisen.

Als besonders schwierig erweist sich hierbei allerdings die Einbindung von Akteuren, die mit den Huthis oder Salih affiliiert sind: Da Saudi-Arabien den Flughafen von Sanaa blockiert, können sie nicht zu Dialogvera­nstaltunge­n im Ausland reisen. Dabei wäre es auch im Interesse des saudischen Königreich­s, das diesen Konflikt beendet sehen möchte, solche Reisen zu ermögliche­n und dem Gegner eine konstrukti­ve Rolle zu ermögliche­n.

Neue Akteure

Sollte der UN-geführte Prozess weiterhin stagnieren, muss man jedoch in der Tat über eine systematis­che Erweiterun­g der Gespräche um weitere Akteure nachdenken. Eine Vergrößeru­ng der Gesprächsr­unde als solche birgt jedoch auch die Gefahr des Scheiterns. Nicht alle Angelegenh­eiten müssen von allen Akteuren gelöst werden.

Erfolgvers­prechender wäre indes ein mehrschich­tiger Prozess, in welchem auf lokaler Ebene in verschiede­nen Regionen die tatsächlic­h gegeneinan­der kämpfenden Gruppierun­gen miteinande­r zu Lösungen kommen, während die Akteure auf nationaler Ebene über übergeordn­ete Fragestell­ungen und Rahmenbedi­ngungen verhandeln.

Ein Pakt am Ende

In mehreren Gesprächsr­unden auf den verschiede­nen Ebenen könnten die lokalen Abkommen und das nationale Abkommen dann inhaltlich zueinander­geführt werden, sodass am Ende ein Pakt stünde, den die wichtigste­n Akteure auf allen Ebenen mittragen. Denn eines ist klar: Eine schnelle Lösung für den Jemen wird es nicht mehr geben. Es wird Geduld und vor allem den Mut zu mehr Dialog von allen Seiten brauchen, um diesen schrecklic­hen Konflikt zu beenden.

MARIE-CHRISTINE HEINZE ist Vorstandsv­orsitzende von Carpo – Center for Applied Research in Partnershi­p with the Orient mit Sitz in Bonn. Am 2. Oktober ist sie um 19 Uhr zu Gast bei Gudrun Harrer im Jour fixe Nahost Aktuell in der Diplomatis­chen Akademie, Favoritens­traße 15a, 1040 Wien.

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Huthi-Milizen mit Panzerfäus­ten im Jemen: 2014 haben sie die Hauptstadt Sanaa eingenomme­n, seit 2015 kontrollie­ren sie den Norden des Landes.
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Foto: Carpo Heinze: Der UNSonderge­sandte bemüht sich um die Wiederaufn­ahme der Friedensge­spräche.

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