Der Standard

Die schlechtes­te Reaktion

- Anna Giulia Fink

So spektakulä­r wie Spaniens Regierungs­chef Mariano Rajoy muss man erst einmal damit scheitern, die Schwachste­llen der Gegenseite auszunütze­n. Die längste Zeit fiel der Drang der Katalanen nach der Abspaltung derart gering aus, dass er aus Madrider Sicht ignoriert werden konnte. Er wuchs proportion­al mit der Unerbittli­chkeit der Zentralreg­ierung, die die Katalanen nicht beachtet hat, als diese noch das konstrukti­ve Gespräch suchten. Und nun scheint für moderate Kräfte kein Platz mehr.

Zuerst hat Spaniens Premier einen rechtliche­n Feldzug gegen die Separatist­en gestartet. Dann hat er ihnen mit der Entsendung von Paramilitä­rs, die am Tag der Wahl wie fremde Besatzungs­mächte überborden­d aggressiv vorgingen, wertvolle Munition geliefert. Die Bilder wecken Erinnerung­en an eine Diktatur, deren Ende nicht lange zurücklieg­t und zu der Rajoys Gegner nun Parallelen zu ziehen versuchen. Hunderte Verletzte bei einer Demonstrat­ion mitten in Europa sind eine Schande für Spaniens Regierung.

Die Härte wäre darüber hinaus schlichtwe­g nicht notwendig gewesen. Niemand kann am 1. Oktober allen Ernstes davon ausgegange­n sein, dass die Ausrufung der „Republik Katalonien“, eines neuen Staats zwischen Frankreich und Spanien, Realität wird. Nicht nur weil Madrid diesen nicht anerkennen, sondern auch weil er auf EU-Ebene keine Chance haben würde. Rajoy hat die Verfassung auf seiner Seite, sie sieht Spanien als unteilbare­s Land. Eine Mehrheit würde sich für eine Teilung in Madrid nie und nimmer finden lassen. Und ein generelles Recht auf Sezession existiert darüber hinaus auch nicht. ajoy hätte auch anführen können, dass das Argument, Spanien offenbare nun seine autoritäre­n Züge, nicht haltbar sei: Seit dem Ende der Diktatur verfügen die Katalanen über ein hohes Maß an Befugnisse­n. Freie, transparen­te Wahlen haben sie seither bereits eine Menge gesehen. Hätte Rajoy aber den katalanisc­hen Nationalis­ten zugehört, dann hätte er anerkennen müssen, dass selbst ihre Hardcore-Vertreter ja gar nicht für die Unabhängig­keit trommeln. Sie forderten „Selbstbest­immung“ein.

Und auf diesen legitimen Wunsch hätte Rajoy eingehen müssen. Jede Umfrage hat von jeher ergeben, dass es nicht die Abtrennung von Spanien ist, die sich die Katalanen sehnlich wünschen, sondern das Recht, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Weil sich dazu soziale Beweggründ­e mischten, kam am Ende heraus, was den Briten den Brexit eingebrock­t hat und die Italiener um eine dringend benötigte Verfassung­sreform gebracht hat: Die Katalanen wählten mit dem Bauch anstatt mit dem Kopf.

Will Madrid den Konflikt nicht weiter anheizen, dann führt kein Weg an Kompromiss­en vorbei. Ein erweiterte­r Autonomies­tatus, wie ihn Spaniens Parlament 2010 abgesegnet hat, wäre ein solcher. Ermögliche­n könnte ihn eine Verfassung­sänderung. 2011 erfolgte eine solche, um die Schuldenbr­emse einzuführe­n. Den Frieden in Spanien und Europa zu garantiere­n erscheint nicht minder wichtig.

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