Der Standard

„Obergrenze light“soll Weg nach Jamaika ebnen

Maximal 200.000 Flüchtling­e pro Jahr, aber keine fixe Obergrenze. So lautet der Kompromiss zwischen CDU und CSU in der Asylpoliti­k. Er macht den Weg frei für Jamaika-Verhandlun­gen ab dem 18. Oktober.

- Birgit Baumann

Die Zeit ist knapp bemessen. Nur 30 Minuten können oder wollen die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer an diesem Montag in der Berliner CDU-Zentrale Rede und Antwort stehen. Und dennoch geben sie bei dieser Gelegenhei­t nicht nur Fakten zum Besten, sondern sinnieren auch über den richtigen Zeitpunkt im Leben.

Warum, will ein Journalist bei der Pressekonf­erenz wissen, habe es denn zwei Jahre gedauert, bis sich CDU und CSU endlich in der Frage der Obergrenze von Flüchtling­en einigen konnten? In dieser Zeit hatte Seehofer immer wieder erklärt, bei 200.000 pro Jahr müsse Schluss sein. Und Merkel hatte erwidert, eine starre Obergrenze werde es mit ihr nicht geben.

Seehofer holt weiter aus und sagt: „Es ist so im Leben, auch im Privatlebe­n, in vielen Fällen trifft man eine Entscheidu­ng, wo man sich selbst die Frage stellt, warum einem das nicht vor einem Jahr eingefalle­n ist.“Merkel ist kürzer, ihre Erklärung geht so: „Alles hat seine Zeit, und die war gestern.“

In der Nacht auf Montag haben sie und Seehofer sich nämlich geeinigt und ihren Streit beigelegt. Man fand einen Kompromiss und der lautet: Die Netto-Zuwanderun­g aus humanitäre­n Gründen solle pro Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen betragen. Das klingt nach der von Seehofer geforderte­n Obergrenze. Doch dieses Wort findet sich im gemeinsame­n Positionsp­apier nicht.

Vielmehr heißt es dort: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus hu- manitären Gründen (Flüchtling­e und Asylbewerb­er, subsidiär Geschützte, Familienna­chzug, Relocation und Resettleme­nt, abzüglich Rückführun­gen und freiwillig­e Ausreisen künftiger Flüchtling­e) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“

Anpassung möglich

Auch bei der Zahl von 200.000 ist man flexibel. Sollten es „internatio­nale Entwicklun­gen“erfordern, dann können Bundesregi­erung und Bundestag eine „geeig- nete Anpassung des Ziels nach unten oder oben beschließe­n“, steht in der Vereinbaru­ng.

Um nicht wieder so viele Flüchtling­e wie 2015 nach Deutschlan­d kommen zu lassen, werden mehrere Maßnahmen aufgeliste­t: Fluchtursa­chenbekämp­fung, Zusammenar­beit mit Herkunfts- und Transitsta­aten nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, Schutz der EU-Außengrenz­en, EU-weite gemeinsame Durchführu­ng von Asylverfah­ren an den Außengrenz­en. Geplant ist auch, Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsl­änder einzustufe­n.

Zudem sollen Neuankomme­nde zunächst in „Entscheidu­ngsund Rückführun­gszentren“untergebra­cht werden, bis über ihre Verfahren entschiede­n ist. Es gibt bereits drei solche Zentren, zwei in Bayern, eines in Baden-Württember­g. Nicht angetastet wird das individuel­le Recht auf Asyl. Das war zuvor eine Bedingung von Grünen und FDP gewesen. Außerdem geplant: ein Zuwanderun­gsgesetz für Fachkräfte.

Gespräche beginnen

Nach der Einigung können nun die Gespräche über eine JamaikaKoa­lition aus Union, FDP und Grünen beginnen. Am Mittwoch, den 18. Oktober gehen zunächst Union und FDP an den Start, dann folgt ein Gespräch der Union mit den Grünen. Einen Tag später treffen sich FDP und Grüne, am 20. Oktober dann alle Parteien (CDU, CSU, FDP, Grüne) in einer Runde.

Aus den kleineren Parteien kommen unterschie­dliche Signale. So erklärt Grünen-Chefin Simone Peter, ihre Partei sei gegen Ausreiseze­ntren und wolle keine weiteren sicheren Herkunftsl­änder. Ihr Co-Chef Cem Özdemir gibt sich diplomatis­cher und meint: „Kompromiss heißt immer: Alle müssen sich bewegen.“

Ähnlich verhält sich die FDP. Während Vize Wolfgang Kubicki betont, der Unions-Kompromiss werde nur eine kurze Halbwertsz­eit haben, lobt Generalsek­retärin Nicola Beer: „Auf dieser Basis kann man jetzt die Sondierung­en beginnen.“

 ??  ?? Zwei Jahre lang standen Horst Seehofer und Angela Merkel weit auseinande­r. Jetzt haben sie in der Frage der Obergrenze ihre „Mitte“gefunden und können Jamaika-Sondierung­en beginnen.
Zwei Jahre lang standen Horst Seehofer und Angela Merkel weit auseinande­r. Jetzt haben sie in der Frage der Obergrenze ihre „Mitte“gefunden und können Jamaika-Sondierung­en beginnen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria