Der Standard

Separatist­ische Solidaritä­t: „Urnen beißen nicht“

Frankreich­s Katalanen fordern wie auch ihre Nachbarn in Spanien mehr Autonomie

- Stefan Brändle aus Paris

Eigentlich müsste derzeit jeder Pariser Chefredakt­eur einen „envoyé spécial“nach Südfrankre­ich schicken. Denn mit den Vorgängen in Barcelona stellt sich unweigerli­ch die Frage, wie es denn um die „Nordkatala­nen“bestellt sei. So nennen sich die französisc­hen Katalanen seit der Teilung Katalonien­s im Pyrenäenfr­ieden im Jahre 1659 zwischen Spanien und Frankreich.

Doch die Pariser Medien berichten kaum über die Katalanen im eigenen Land. Als gute Anhänger des jakobinisc­hen Zentralsta­ates stehen sie ohnehin eher auf der Seite der Regierung in Madrid. Aber nicht nur deshalb übergehen sie die Katalanen im eigenen Land schlicht. Das Pariser Zentrum fürchtet sich historisch bedingt vor den Zentrifuga­lkräften in den Randregion­en: Autonomief­orderungen in Korsika oder der Bretagne, dem Elsass oder dem Baskenland – und eben auch in Katalonien werden aus Prinzip abgelehnt: Die französisc­he Republik ist laut dem ersten Artikel der Verfassung „unteilbar“.

Regionalsp­rachen gelten erst seit einer Grundrecht­srevision von 2008 als Teil des nationalen Kulturerbe­s. Das Katalanisc­he ist in der Stadt Perpignan (120.000 Einwohner) und dem umliegende­n Departemen­t Pyrénées-Orientales gut vertreten, was sich auch in den rot-gelben Flaggen beider Körperscha­ften äußert. Sprache und Kulturgut werden ohne Aggressivi­tät, aber mit Beharrlich­keit hochgehalt­en. Bei Rugby- spielen wird gerne das katalanisc­he Anti-Franco-Lied L’Estaca gesungen. Mehr als diese – in Frankreich durchaus geschätzte – Folklore wird den Katalanen aber nicht zugestande­n.

Auf Paris angewiesen

Und da sie mit schätzungs­weise 100.000 Vertretern nicht besonders zahlreich sind, vermögen sie sich auch politisch kaum je durchzuset­zen. Vor einem Jahr verlangten 10.000 Katalanen bei einer Demonstrat­ion in Perpignan, dass die neue Region bei der Territoria­lreform den Zusatz „pays catalan“erhalte. Doch in der neugebilde­ten Region Occitanie mit 5,8 Millionen Einwohnern und Großstädte­n wie Toulouse und Montpellie­r verhallte diese katalonisc­he Forderung ungehört. Wenig zahlreich, erliegen die französisc­hen Katalanen aber auch nicht der Radikalisi­erung. Ihr Anführer Jordi Vera sagt von sich, er liebe Frankreich wie jeder andere Franzose. Das hindert ihn nicht, eine stärkere Autonomie für die Nordkatala­nen zu fordern. Chancen hat das Anliegen nicht; die Gegend ist eine der ärmsten Frankreich­s und auf Hilfe aus Paris angewiesen. Umso offener zeigen sich die Nordkatala­nen mit ihren Brüdern und Schwestern in Barcelona solidarisc­h.

Für deren Referendum lagerten sie Wahlurnen und druckten Millionen von Wahlzettel­n, um sie zum Abstimmung­stag in Nacht und Nebel über die Grenze zu schaffen. Im Dorf Pézilla-la-Rivière veröffentl­ichte der versammelt­e Gemeindera­t ein Foto mit der Aufschrift: „Urnen beißen nicht“. Nach den Einsätzen der spanischen Polizei vor den Wahlbüros protestier­ten in Perpignan hunderte französisc­he Katalanen mit Spruchbänd­ern vor dem spanischen Konsulat. Ohne dass die Pariser Medien darüber berichtete­n.

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Solidaritä­tsbekundun­gen der Katalanen in Frankreich für jene in Spanien vor dem spanischen Konsulat in Perpignan.

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