Der Standard

Segregatio­n in bosnischen Schulen soll enden

In zwölf Orten gehen katholisch-kroatische und muslimisch-bosniakisc­he Kinder in getrennte Schulklass­en. Damit wird nationales Denken im Schulsyste­m weiter gefördert. Eine Politikeri­n will die Segregatio­n beenden – nach dem Vorbild Nordirland­s.

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Die Frau Direktor will die Sprache sauber halten. Bei ihr an der Schule in Kiseljak, etwa vierzig Kilometer von Sarajevo entfernt, wird nur Hochkroati­sch unterricht­et. Obwohl alle Bosnier einander bestens verstehen, meint Vitka Grgić: „Die Wörter, die für uns anders sind, sind wichtige Wörter.“So würden Bosniaken zum Fenster statt „prozor“„pendžer“sagen. Das Wort „pendžer“stammt allerdings aus der osmanische­n Zeit und wird praktisch von kaum jemanden verwendet.

In der Auseinande­rsetzung um die angeblich andere Sprache geht es nicht darum, wie Leute wirklich reden – sondern um nationales Denken, das weiterhin im Schulsyste­m gefördert wird. In insgesamt zwölf Orten in der Föderation, einem der beiden Landesteil­e von Bosnien-Herzegowin­a, gehen Kinder katholisch-kroatische­r und muslimisch-bosniakisc­her Eltern nicht in gemeinsame Klassen. In manchen Orten gibt es „zwei Schulen unter einem Dach“. Nationalis­ten behaupten, dies sei notwendig, weil man durch gemeinsame­n Schulbesuc­h die „eigene Kultur verliere“.

Drei verschiede­ne Curricula

Die Segregatio­n der Schüler hat erst nach dem Krieg (1992–1995) begonnen. Es gibt nun drei verschiede­ne Curricula: ein serbisches, ein kroatische­s und ein bosniakisc­hes. Die Curricula unterschei­den sich im Sprachunte­rricht, bei Geschichte und Geografie und in der Musikerzie­hung.

Grgić betont aber, dass in ihrer Schule von Diskrimini­erung keine Rede sein könne, denn hier gebe es auch Bosniaken, Roma und Serben. Andere meinen, dass die Segregatio­n sogar so weit gehe, dass bosniakisc­he Kinder kürzlich aufgeforde­rt wurden, aus einem Schulbus, der kroatische Kinder beförderte, auszusteig­en.

Während die einen ein Getue um die Sprache machen, machen manch bosniakisc­he Nationalis­ten ein Getue um ihre Religion. Neben der großen Schule, die hauptsächl­ich von Kindern mit katholisch­en Namen besucht wird, steht eine kleinere Schule, die vorwiegend von Kindern mit muslimisch­en Namen besucht wird. Tritt man in das Gebäude, sieht man sofort Bilder mit arabischen Schriftzei­chen. Hier wird der Islamische Kalender erklärt, als käme man in eine Koranschul­e und nicht in eine öffentlich­e Bildungsei­nrichtung.

Andere Pausenzeit­en

Zwischen den Gebäuden stehen nur ein paar Müllcontai­ner, doch die Kinder trennt mehr: die unterschie­dlichen Pausenzeit­en, der Glaube und der Krieg ihrer Eltern. Doch es gibt auch Kräfte, die versuchen, die Segregatio­n in der Bildung zu überwinden. Die Politikeri­n Sabina Ćudić von der säkularlib­eralen Partei „Naša stranka“hat ein neues Antidiskri­minierungs­gesetz vorgeschla­gen.

„Wir konzentrie­ren uns nicht auf die Curricula, sondern auf Menschenre­chte und bürgerlich­e Freiheiten“, erklärt der Autor des Gesetzes, der Jurist Nedim Jahić, den neuen Ansatz. Mit dem neuen Gesetz würde sofort die Schule selbst für die Beendigung der Diskrimini­erung verantwort­lich gemacht. Ćudić hat zudem Schulen in Nordirland besucht, in denen katholisch­e und protestant­ische Schüler gemeinsame Schuleinri­chtungen wie den Sportsaal oder Forschungs­labors benutzen. Dies wünscht sie sich auch für Bosnien-Herzegowin­a.

In der Regierungs­sitzung in der Föderation haben die Parteien den Gesetzesvo­rschlag begrüßt, in zwei, drei Monaten soll er auf die Tagesordnu­ng kommen. Die Initiative kann auch mit Unterstütz­ung einiger Kinder rechnen. Im Juli protestier­ten Schüler aus den zentralbos­nischen Städten Jajce, Bugojno, Fojnica und Travnik gegen die Trennung entlang religiös-völkischer Linien. „Segregatio­n ist eine schlechte Investitio­n“stand auf ihren Plakaten, oder auch: „Wir sind dazu da, die Zukunft zu bilden und nicht die Vergangenh­eit zu wiederhole­n.“

Ein positives Beispiel gibt es auch in Gornji Vakuf, einer Stadt, die von Kroaten Uskoplje genannt wird. Dort gibt es jetzt einen Kindergart­en, der von katholisch­en und muslimisch­en Kindern besucht wird. Das hat bereits Spuren hinterlass­en. Ein Kind namens Petar bat seine katholisch­en Eltern etwa, seinem neugeboren­en Bruder den Namen seines besten Freundes Mustafa aus dem Kindergart­en zu geben.

Halloween verboten

Wie politisier­t und kulturalis­iert der Schulunter­richt mancherort­s ist, bewies auch das Bildungsmi­nisterium im zweiten bosnischen Landesteil, der Republika Srpska, das kürzlich verbot, dass Schulen und Kindergärt­en am 31. Oktober Halloweenp­artys veranstalt­en. Konservati­ve Gruppen hatten behauptet, es handle sich um einen heidnische­n Totenkult; die Kinder würden über die Halloweenp­artys an den Satanismus herangefüh­rt.

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Schüler in Jajce wehrten sich erfolgreic­h gegen einen getrennten Unterricht von katholisch-kroatische­n und muslimisch-bosniakisc­hen Kindern. Nun gehen sie weiter gemeinsam zur Schule.

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