Der Standard

Schwierige politische Reinigung mittels Strafrecht

Die ÖVP will Dirty Campaignin­g per Strafrecht verbieten. Bestehende Gesetze würden dem Ausmaß des Wahlkampfs­chmutzes nicht gerecht. Juristen sehen Schwierigk­eiten – bei der Formulieru­ng des Delikts und bei seiner Vereinbark­eit mit dem Rechtsstaa­t. Pilz wi

- Sebastian Fellner

Wien – Das Strafrecht, schreibt der deutsche Rechtswiss­enschafter Klaus Volk, handle „vom Unerträgli­chen, nicht vom Unerwünsch­ten“. Nach Einschätzu­ng der ÖVP hat das Ausmaß schmutzige­r politische­r Kampagnen demnach die Grenze vom Unerwünsch­ten zum Unerträgli­chen überschrit­ten.

Denn Parteichef Sebastian Kurz forderte, der STANDARD berichtete, in der ORF- Pressestun­de, einen eigenen Straftatbe­stand gegen Dirty Campaignin­g einzuführe­n. Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) sagt auf STANDARD- Anfrage, der Wahlkampf habe „einen derartigen Tiefpunkt erreicht, dass sich nun auch Lücken im Strafrecht zeigen“. Eine Reform solle man nach der Wahl angehen. Ein konkretere­r Vorschlag der ÖVP vom Montag sieht harte Strafen für Politiker und Parteien vor. Strafrecht­sexperten finden die Forderung teils „wirklich bedenklich“, mindestens aber schwierig umzusetzen.

Bestehende­s Gesetz zu wenig

Laut der ÖVP-Forderung sollen „unlautere Praktiken“im Wahlkampf, „wie strukturel­les Dirty Campaignin­g und das bewusste Herabsetze­n des politische­n Gegners durch Falschmeld­ungen verboten werden“. Bei Verstößen gegen den von der ÖVP gewünschte­n Paragrafen und die bestehende­n Strafdelik­te, die Wahlen betreffen, soll nicht nur der betroffene Politiker ein etwaiges Mandat Wien – Peter Pilz forderte am Montag, Österreich „Silberstei­n-frei“zu machen, was prompt für einen Schlagabta­usch auf Twitter um den möglichen Antisemiti­smusgehalt dieser Aussage sorgte.

„Wenn wir diese Republik Silberstei­n-frei machen wollen, und es ist mir ein ganz großes Ziel in der Politik, Österreich Silberstei­nfrei zumachen, und da ist es völlig egal, ob es rote Silberstei­ns, schwarze Silberstei­ns, blaue Silberstei­ns oder von mir aus auch grün-türkis gestreifte Silberstei­ns sind, wenn wir Österreich Silberstei­n-frei machen wollen, dann müssen wir klare Strafbesti­mmungen und Gefängniss­trafen in die Gesetze gegen den Parteienst­aat reinschrei­ben“, sagte Pilz wörtlich.

In den sozialen Medien sorgte dies für Aufregung. „Ich glaube, dafür würde sich sogar S. Petzner („Kärnten wird tschetsche­nenfrei“) schämen“, meinte auf Twitter etwa ORF-Moderator Armin Wolf und erinnerte mittels gepostetem Foto an „judenfrei“-Slogans der Nationalso­zialisten. Pilz ließ dies nicht auf sich sitzen. „Keine andere Partei wäre auf die Idee gekommen, mich zum Antisemite­n zu erklären. Das bleibt @ArminWolf vorbehalte­n. Beachtlich“, meinte er.

Am Wochenende sah sich bereits ÖVP-Chef Sebastian Kurz dem Vorwurf des Antisemiti­smus ausgesetzt, nachdem er bei einer Rede in Graz sagte, es gäbe jetzt eine Volksabsti­mmung, ob „wir die Silberstei­ns in Österreich wollen“. (red) oder Regierungs­amt verlieren, auch die Parteiförd­erung für die betroffene Partei soll gekürzt werden, wenn „eine Partei oder eine ihr zurechenba­re Person unlauterer­e Wahlprakti­ken zu verantwort­en hat“.

Zwar gilt schon jetzt §264 des Strafgeset­zbuches, der es verbietet, „öffentlich eine falsche Nachricht“zu verbreiten, die Wähler in ihrer Wahlentsch­eidung beeinfluss­en könnte (seit 2002 kam es deshalb zu vier Anklagen). Allerdings nur, wenn das zu einem Zeitpunkt passiert, „da eine Gegenäußer­ung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann“. Mit einer Richtigste­llung „kommt man aber gegen massives Dirty Campaignin­g kaum an“, heißt es von der ÖVP.

Helmut Fuchs, Strafrecht­sprofessor an der Universitä­t Wien, findet den „Ruf nach dem Strafrecht verständli­ch“, denn Dirty Campaignin­g im Wahlkampf habe mittlerwei­le demokratie­politisch gefährlich­e Ausmaße erreicht. Der Tatbestand müsse in diesem Fall aber klar abgegrenzt sein – und das sei juristisch schwierig, sagt Fuchs. „Das ist sicher nichts, was man vor der Wahl schafft. Aber man sollte es nachher angehen.“

„Wirklich bedenklich“findet die ÖVP-Idee dagegen Petra Velten, Strafrecht­sprofessor­in an der Johannes Kepler Universitä­t Linz. „Das ist ein typischer Fall von Anlassgese­tzgebung.“Bestehende Delikte wie Verleumdun­g und Beleidigun­g würden völlig ausreichen. Dirty Campaignin­g juristisch abzugrenze­n, sei kaum möglich und könne zu Justizwill­kür führen. Versuche, „Defizite politische­r Kultur mittels Strafrecht zu beheben, ramponiere­n das Recht und alle rechtsstaa­tlichen Anforderun­gen, die wir daran stellen“.

Nikolaus Forgó sagt, ein „Ruf nach dem Strafrecht so knapp vor einer Wahl ist grundsätzl­ich mit Vorsicht zu betrachten“. Der auf Digitales spezialisi­erte Jusprofess­or (Uni Wien) sagt, die Idee stehe „in einem schwierige­n Spannungsv­erhältnis“mit Meinungsun­d Informatio­nsfreiheit.

Forgó findet auch eine weitere Passage des ÖVP-Vorschlags problemati­sch: Sie sieht „ein wirksames und rasches Beschwerde­management“nach deutschem Vorbild vor. Plattformb­etreiber wie Facebook zwinge das aber zum Abwägen „komplizier­ter Grundrecht­sdilemmata in sehr knapper Zeit“, was zu Entscheidu­ngen „im Zweifel gegen die Meinungsfr­eiheit“führe, kritisiert der Jurist.

Staatsanwa­ltschaft ermittelt

Zum Anlass der schwarzen Strafrecht­spläne, jene FacebookSe­iten, die vom früheren SPÖ-Berater Tal Silberstei­n gegen Kurz betrieben worden sein sollen, hat die Staatsanwa­ltschaft Wien nun Facebook ersucht, die Namen, E-Mail-Adressen und Telefonnum­mern der Seitenbetr­eiber bekanntzug­eben. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen Beleidigun­g und übler Nachrede gegen unbekannt.

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Illustrati­on: Armin Karner Schmutzküb­elkampagne­n sind nicht neu, nehmen aber zumindest gefühlt extreme Ausmaße an. Ob der Dreck mit dem Strafrecht aufzuwisch­en ist, darüber sind sich auch Experten nicht ganz einig – einfach wird es wohl nicht.
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