Der Standard

Mit „Shit or bust“-Wahlkampf zum Sieg und retour

Wie ein britischer Politiker nach schmutzige­n Attacken auf seinen Gegenkandi­daten vor Gericht zu Fall kam

- Lisa Nimmervoll

Wien – 99 Jahre war der Paragraf nicht mehr beanspruch­t worden, bis er 2010 Ex-Einwanderu­ngsministe­r Phil Woolas seinen Parlaments­sitz kostete: Der LabourPoli­tiker wurde von einem Wahlgerich­t für schuldig befunden, das Volksvertr­etungsgese­tz gebrochen zu haben, weil er im Wahlkampf falsche Aussagen über seinen Gegenkandi­daten Elwyn Watkins von den Liberaldem­okraten in Umlauf gebracht hatte. Er siegte mit 103 Stimmen Vorsprung – und verlor seinen Sitz britischen Unterhaus (House of Commons) dann doch, weil das Gericht das Ergebnis für nichtig erklärte, ihn disqualifi­zierte und eine Nachwahl im Wahlkreis anordnete.

Es ist wohl eine der ältesten Gesetzesbe­stimmungen gegen Dirty Campaignin­g, die es internatio­nal gibt, erklärt die britische Politologi­n Melanie Sully, die in Wien das Go-Governance-Institut leitet, im STANDARD- Gespräch. Ähnliche Bestimmung­en wie Paragraf 106, der unter Strafe stellt, wenn jemand Falschinfo­rmationen über eine Person, deren Charakter oder Verhalten in Umlauf bringt – es sei denn, er oder sie kann beweisen, dass es gute Gründe gab, die Aussagen für wahr zu halten –, gab es in Großbritan­nien bereits seit 1895. Auch in Australien gebe es, so Sully, in einem Bundesstaa­t gesetzlich­e Regelungen, die Falschinfo­rmationen über Kandidaten oder auf Plakaten sanktionie­ren.

In Österreich hat sich nun ÖVPChef Sebastian Kurz für einen neuen Straftatbe­stand Dirty Campaignin­g ausgesproc­hen.

Der Representa­tion of the People Act 1983 regelt, wie Parteien und Politiker sich bei einer Wahl korrekt zu verhalten haben. Phil Woolas tat das augenschei­nlich nicht, befanden die Richter und sperrten ihn überdies für drei Jahre für politische Ämter.

Mit welchem Schmutz hatte Woolas seinen Kontrahent­en Watkins im Wahlkampf also konfrontie­rt? The Guardian zitierte die Staatsanwä­ltin, die sagte, Woolas und sein Kampagnent­eam hätten „das weiße Volk wütend machen“(„to make the white folk angry“) wollen, indem sie dem Liberalen Watkins auf Plakaten Kontakte zu radikalen Muslimen unterstell­ten.

„It is up to you“

So gab es ein Plakat, auf dem stand, „Extremiste­n“würden versuchen, die Wahl zu kapern und liberaldem­okratisch zu wählen, „um Phil für seine strenge Immigratio­nspolitik zu bestrafen“. Die Liberaldem­okraten würden Hunderttau­senden illegalen Immigrante­n ein Bleiberech­t geben. „It is up to you.“Es ist an euch. „Do you want the extremists to win?“

Für das Gericht stand fest, dass Woolas Rassen- und Religionsk­onflikte schüren wollte, um die Wahl zu gewinnen. Er und sein Team ließen sich im Kampf gegen den Liberalen auf ein Spiel mit hohem Einsatz ein, das sie selbst als „,risky‘ and – less politely – ,shit or bust‘“beschriebe­n, sagte die Anklägerin. Also das Motto: „Scheiße oder Scheitern“. Dazu gehörten persönlich­e Attacken auf Watkins, falsche Medienstat­ements und manipulier­te Fotos, etwa von fanatische­n und „mad Muslims“, die Woolas verdammen und die von Watkins umworben würden.

Das Gericht entschied: „This case is not about winners and loosers“, sondern ob Phil Woolas „wegen Betrugs disqualifi­ziert“werde – und das wurde er. Es habe einen großen Verlierer bei der ganzen Sache gegeben, und das sei die Wählerscha­ft von Oldham East and Saddlewort­h gewesen.

Politologi­n Sully hält ein Gesetz gegen Dirty Campaignin­g denn auch „grundsätzl­ich für keine schlechte Idee, aber es sollte ergänzt werden um eine genaue Analyse, was schiefgega­ngen ist im Wahlkampf, und um nichtgeset­zliche Maßnahmen, etwa einen Verhaltens­kodex zur Verbesseru­ng der politische­n Debatte“.

Liberaldem­okrat Watkins landete übrigens auch bei der Nachwahl auf Platz zwei, und LabourKand­idatin Debbie Abrahams siegte ohne Schmutzwah­lkampf.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria