Der Standard

Kenne deinen PSA-Wert

Kein Mann will Prostatakr­ebs bekommen. Eine medizinisc­he Maßnahme, um die Erkrankung im Frühstadiu­m zu erkennen, ist der PSA-Test. Jahrelang wurde die Sinnhaftig­keit dieser Maßnahme diskutiert. Der Grund: zwei sich widersprec­hende Studien.

- Felicitas Witte

Kaum ein Thema sorgt zurzeit für so viele Diskussion­en wie der PSA-Test zur Früherkenn­ung von Prostatakr­ebs. Amerikanis­che Experten hatten 2012 nach der großen PLCO-Studie („Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian Cancer Screening Trial“) davon abgeraten: Männer hätten keinen Benefit davon, so das Ergebnis. Doch gleichzeit­ig hatte die zweite große ERSPC-Studie („European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer“) aus Europa das Gegenteil gezeigt: Dank des Tests starben weniger Männer, so deren Resultat. Was also stimmt? In einer neuerliche­n Auswertung der PLCO-Studie wurde klar: Die Forscher hatten schlampig gearbeitet, deshalb wurden die Ergebnisse falsch interpreti­ert.

Die Europäer haben recht. Die Sterblichk­eit sinkt, gemäß neuen Analysen sogar um mehr als die Hälfte. „Der PSA-Test ist super“, sagt Markus Graefen, Urologe am Prostatakr­ebszentrum der Uniklinik Hamburg-Eppendorf. „Aber nur, wenn man ihn in der richtigen Situation anwendet und korrekt interpreti­ert.“Als er vergangene­s Jahr auf einem Kongress hörte, wie die PLCO-Studie durchgefüh­rt worden war, sei er fassungslo­s gewesen. 90 Prozent der angeblich Nichtgetes­teten haben sich doch testen lassen – insgesamt sogar mehr Männer als in der PSA-Gruppe. „Die Studie hat also zwei Gruppen verglichen, in denen der Test fast gleich häufig durchgefüh­rt wurde“, erklärt er. Kein Wunder, dass kein Unterschie­d in der Sterblichk­eit gefunden wurde. „Bei dem Mischmasch hätten die Kollegen gar keine Schlüsse ziehen oder die Studie veröffentl­ichen dürfen.“

Immerhin schienen einige der PLCO-Forscher ihre Schlampere­i eingesehen zu haben, denn sie halfen bei der neuen Auswertung mit. „Ich fand es super, dass die Kollegen sich dazu durchgerun­gen haben“, sagt Maciej Kwiat- kowski, Urologe am Kantonsspi­tal im schweizeri­schen Aarau und ebenfalls einer der Autoren der neuen Studie. „Ich glaube, die Studienlei­ter haben damals unterschät­zt, was für Auswirkung­en es haben kann, wenn man die beiden Gruppen nicht sauber voneinande­r trennt.“

In der neunjährig­en ERSPCStudi­e führte der PSA-Test zu einer Reduktion der Sterblichk­eit von 21 Prozent. Aber was bedeutet das? 1410 Männer musste man zum PSA-Test einladen und 48 Prostatakr­ebserkrank­ungen diagnostiz­ieren, damit einem Mann das Leben gerettet werden konnte.

Statistisc­hes Einmaleins

„Je länger die Studien dauern, desto mehr scheint sich der Test zu lohnen“, sagt Graefen. So müssen gemäß der 14-jährigen Teilstudie der ERSPC-Studie aus Schweden 293 Männer zum Test eingeladen und zwölf Krebserkra­nkungen diagnostiz­iert werden, um einen Todesfall zu verhindern, was einer Risikoredu­ktion von 44 Prozent entspricht. In der 13-jährigen Teilstudie aus den Niederland­en wurde das Risiko sogar um mehr als die Hälfte reduziert. Von 34.833 Studientei­lnehmern machten 15.428 den Test so wie vorge- sehen, von denen letztendli­ch 42 an Prostatakr­ebs starben. Von den 15.381 Nichtgetes­teten starben doppelt so viele, nämlich 78. Rechnet man die Daten auf eine lebenslang­e Beobachtun­g um, müssten nur noch 98 Männer eingeladen und fünf Krebserkra­nkungen festgestel­lt werden, damit einem Mann das Leben gerettet werden kann.

Es gibt keine generelle Empfehlung für ein PSA-Screening. „Der PSA-Test ist die einzige Möglichkei­t, Prostatakr­ebs in einem heilbaren Stadium zu entdecken“, sagt Stephan Madersbach­er, Urologe am Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien. Er empfiehlt einen ersten Test im Alter von 45 bis 50. Liegt der PSA-Wert dann unter 0.5, sei eine Kontrolle erst in acht Jahren erforderli­ch. „Hat man Werte über 1, sollte man engmaschig­er kontrollie­ren.“

Allerdings kann der PSA-Wert auch nach einer langen Fahrradtou­r, nach Geschlecht­sverkehr, bei einer gutartigen Vergrößeru­ng der Prostata oder einer Entzündung von Harnblase oder Prostata ansteigen. Bei einem Wert von über 3 sollten eine Prostataen­tzündung oder Blasenentl­eerungsstö­rungen ausgeschlo­ssen und dann eine Biopsie durchgefüh­rt werden. Zeigt sich dabei Krebs im Frühstadiu­m, kann man operieren oder auch aktiv überwachen, das heißt, regelmäßig den PSA-Wert bestimmen und Biopsien entnehmen. Als Alternativ­e kann man den Tumor bestrahlen.

Maurice-Stephan Michel, ChefUrolog­e an der Uniklinik Mannheim, ist dagegen, den Test jedem Mann gleich welchen Alters zu empfehlen. „Man muss das individuel­l entscheide­n“, sagt er. „Denn ein erhöhter Wert kann andere Untersuchu­ngen oder Eingriffe nach sich ziehen, die Komplikati­onen verursache­n.“Dazu zählen zum Beispiel Impotenz oder Inkontinen­z.

Mit Unsicherhe­it leben

In einigen Fällen wächst Prostatakr­ebs allerdings derart langsam, dass er keinerlei Symptome verursacht und ein Mann auch nicht daran stirbt. Oftmals reiche es, engmaschig zu kontrollie­ren, ob der Tumor weiterwäch­st. Aber längst nicht alle Männer kämen mit der stets präsenten Unsicherhe­it zurecht, ob nun der Krebs voranschre­itet oder nicht. „Die Entscheidu­ng für oder gegen den Test ist nicht einfach“, gibt Michel zu. „Man muss sich umfassend informiere­n und sich letztlich selbst eine Meinung bilden. Feststeht: Der PSA-Test kann Leben retten.“

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Foto: iStockphot­o Die Prostata kontrollie­ren lassen: Der PSA-Wert gibt Auskunft über krankhafte Veränderun­gen.
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