Der Standard

Führungskr­ise ohne Ausweg

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Seit dem folgenschw­eren Brexit-Referendum ähnelt die britische Regierung einem führerlose­n Zug unterwegs nach nirgendwo, mit dem ständigen Risiko einer Entgleisun­g, zumal bereits zwei Lokomotivf­ührer ihre Autorität durch sinnlose Vabanquesp­iele verspielt haben. Der erfolgreic­he konservati­ve Regierungs­chef David Cameron hatte ohne Not die Volksabsti­mmung über den Austritt aus der EU provoziert und sie verloren. Auch seine Nachfolger­in Theresa May schrieb ohne Grund im Juni vorzeitige Parlaments­wahlen aus, die mit dem Verlust der absoluten Mehrheit, also auch mit einem spektakulä­ren Fehlschlag endeten. Der Verlauf und die Folgen des Parteitage­s der Konservati­ven haben den Eindruck der Führungskr­ise, der Spaltung in der Regierung und der Ratlosigke­it der noch immer geschockte­n politische­n Klasse im Spiegel der TV-Übertragun­gen und der Reportagen geradezu dramatisch bestätigt.

Dass die Rede der mit starker Heiserkeit kämpfenden Ministerpr­äsidentin durch einen Komiker unterbroch­en wurde, der ihr ein Kündigungs­formular in die Hand drückte, war bloß eine tragikomis­che Facette ihres von den Medien als Albtraum beschriebe­nen Auftrittes. Der Parteitag verlieh den Intrigen der potenziell­en „Königinmör­der“einen unerwartet­en Auftrieb. Bereits am Freitag forderte der frühere Parteivors­itzende und konservati­ve Abgeordnet­e Grant Shapps in einem BBC-Interview eine Neuwahl der Führung und behauptete, dreißig MPs, unter ihnen fünf frühere Minister, unterstütz­ten seinen Vorstoß. Obwohl May mit der „vollen Unterstütz­ung ihres Kabinetts“diese Herausford­erung abwehren konnte, bleibt sie bis auf weiteres eine durch ihre eigene Fehlkalkul­ation diskrediti­erte, zwischen den EU-freundlich­en und den harten EU-Gegnern schwankend­e Ministerpr­äsidentin, die weder in Brüssel noch im britischen Unterhaus über die für die schwierige­n Brexit-Verhandlun­gen unerlässli­che Autorität verfügt.

Ihr politische­s Überleben verdankt sie zwei Faktoren: der Angst der Konservati­ven vor einer Neuwahl im Falle ihres Sturzes, bei der die Labour-Partei mit einem linken Kurs unter dem bei der Jugend überrasche­nd populären Jeremy Corbyn sogar die Mehrheit gewinnen könnte, und dem Fehlen eines in der Fraktion mehrheitsf­ähigen Nachfolger­s. Der prominente­ste Intrigant, der nicht nur von der Neuen Zürcher als „närrischer Amateur“betrachtet­e Außenminis­ter Boris Johnson hatte eine Schlüsselr­olle bei dem Sturz Camerons und bei dem Mehrheitsv­otum für den Austritt gespielt, aber ein Mitverschw­örer, der damalige Justizmini­ster Michael Gove, fiel ihm in den Rücken, weil er selbst Ambitionen auf den Spitzenpos­ten hatte. Die Boulevardb­lätter nannten ihn einen „Serienmörd­er“, weil er sowohl seinen Freund Cameron wie auch später im letzten Augenblick Johnson verraten hatte. Beide – Johnson und Gove – sitzen in der Regierung, beide sind derzeit nicht mehrheitsf­ähig in der Fraktion. Möglicherw­eise kommt jener erzkonserv­ative Abgeordnet­e Jacob Rees-Mogg vor dem Ausscheide­n aus der EU am 29. März 2019 zum Zug, mit dem verglichen (so der Spiegel) sogar Margaret Thatcher als eine extreme Liberale hätte gelten können.

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