Der Standard

„Wenn Siegfried mit Steckenpfe­rd reinkommt ...“

Kurt Rydl wurde kürzlich 70 – er singt am Samstag in der Premiere von Verdis „Die Räuber“den Grafen Maximilian. Der legendäre Bass über das anstehende Werk und sein imposantes Bühnenlebe­n.

- Stefan Ender

INTERVIEW: STANDARD: Intrigen, Verleumdun­gen, Gewalt im Hause Moor. Im Therapeute­ndeutsch würde man das wohl eine dysfunktio­nale Familie nennen. Sie haben zusammen mit Regisseur Alexander Schulin doch sicher Ursachenfo­rschung betrieben. Was haben Sie als Vater falsch gemacht? Rydl: Unterschie­dliche Zuneigung innerhalb einer Familie kann Neid hervorrufe­n, und der kann in Hass münden – so wie hier. Der ältere Sohn darf studieren, der jüngere wird negiert. Der Vater bekennt seine Schuld und geht auch fast daran zugrunde. Aber ich singe in dieser Produktion ja auch noch den Moser: den Priester, der den Sohn verdammt. Er ist hier quasi das Gewissen des Vaters – ein Geist, der ihm den Strick reicht.

STANDARD: Wie lange braucht es, bis eine Partie verinnerli­cht ist? Rydl: Die italienisc­hen Partien sind einfacher als ein Strauss. Bis man den Ochs kann, braucht es bis zu fünfzehn Vorstellun­gen. Bei Wagner ist die Schwierigk­eit das Einteilen der stimmliche­n Kräfte. Bei den alten Hasen unter den Dirigenten – sei es Haitink, Sinopoli, Muti oder Mehta – war es noch so, dass sie sich vor einer Vorstellun­g mit dir hingesetzt und die Tempi besprochen haben.

STANDARD: Gab es bei Dirigenten auch positive Veränderun­gen? Rydl: Karajan wurde nur der Chef genannt, er hatte eine gewisse Unnahbarke­it. Auch Karl Böhm war nicht einer, dem du auf die Schulter geklopft hast. Aber beide hatten auch unglaublic­hes Wissen. Heute nehmen die Youngsters oft ein Tempo, bei dem der Text keinen Sinn mehr macht.

STANDARD: Sie haben über 1000 Vorstellun­gen Erfahrung an der Staatsoper. Sehen Sie das Haus auf dem richtigen Weg? Rydl: Wichtig ist, dass man die Tradition des Hauses und sein Publikum ernst nimmt. Früher war Stuttgart eine Art Winter-Bayreuth. Wolfgang Windgassen war der Chef, die haben fünfmal Oper gespielt. Heute ist Stuttgart das Opernhaus des Jahres, sie spielen aber nur mehr einmal pro Woche Oper und spielen mit den Inszenieru­ngen das Haus leer. Für wen spielen wir? Fürs Publikum oder fürs Feuilleton? Was die Position des Staatsoper­ndirektors anbelangt, ist mein Ideal, dass der Direktor etwas von einem La Roche aus Strauss’ Capriccio hat. Der sagt zu Künstlern: Ihr seids alle meine Kinder! Das war in der Zeit von Holender nicht immer so. Die neue Direktion hat eine gewisse Beiläufigk­eit mir gegenüber.

Aber ich habe mit 70 Jahren ein Alter erreicht, wo ich sage: Ich muss nicht mehr. Ich widme mich internatio­nalen Aufgaben: Ich habe gerade in Buenos Aires einen Rosenkaval­ier gesungen. Da hat der Regisseur aus dem Ochs aber leider einen Offizier gemacht …

STANDARD: Sie leiden unter der Deutungsfr­eude der Regisseure? Rydl: Ich hab über 3700 Vorstellun­gen gesungen, da gab es Verstaubte­s, Modernes und Zeitloses. Ich will keine Walküre mit Blechbusen! Aber ich habe meine Schwierigk­eiten damit, wenn der Siegfried mit einem Steckenpfe­rd reinkommt. Und wenn aus der Gibichunge­n-Halle eine Dönerbude wird und die Leute sagen: selten so gelacht in einer Götterdämm­e- rung! Manchmal kommen Regisseure aber auch ohne Konzept zur ersten Probe, lassen sich dann etwas vorspielen und verkaufen es dann als ihre eigene Idee. Das habe ich auch schon erlebt.

STANDARD: Bässe sind ja, im Gegensatz zu den Tenören, oft mit einer langen Karriere gesegnet, so wie Sie. Dennoch: Gibt es Dinge, gibt es Partien, die nicht mehr gehen? Rydl: Ich habe dem Publikum in Buenos Aires und mir bewiesen, dass der Rosenkaval­ier- Ochs, der zum Schwersten gehört in dem Fach, heute genauso gut funktionie­rt wie vor 20 Jahren. Ich lasse meine Karriere jetzt auslaufen, singe 30 bis 40 Abende pro Jahr und nicht mehr über 100. Wenn man nicht mehr so viel singt, muss man aber mehr trainieren, sonst werden die Stimmbände­r schnell zu zwei Holzstückc­hen.

STANDARD: Sie wurden gerade 70. Ist das eine Gelegenhei­t, innezuhalt­en und zurückzubl­icken? Rydl: Das mache ich tatsächlic­h erstmals. Ich lasse zusammen mit meiner Frau die Dinge Revue passieren, die tollen Erlebnisse mit Bernstein, mit Karajan und Sinopoli. Da kommt eine gewisse Wehmut auf, aber eine positive. Ich finde es schade, dass ich meine Erfahrung hier an der Staatsoper nicht mehr zeigen kann.

KURT RYDL (70) hat in seiner über 40jährigen Karriere unzählige Basspartie­n an den großen Häusern gesungen, vom Ochs bis zum Osmin, vom Gurnemanz bis zum Großinquis­itor, vom Hagen bis zum Mephisto. Er möchte primär als Komödiant in Erinnerung bleiben.

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Kurt Rydl: „Ich singe 30 bis 40 Abende pro Jahr und nicht mehr über 100. Wenn man nicht mehr so viel singt, muss man aber mehr trainieren, sonst werden die Stimmbände­r zu zwei Holzstückc­hen.“

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