Der Standard

Blaue Bohnen in Bagdad

„Pursuit of Happiness“: Die Tanztruppe En-Knap kooperiert mit dem Nature Theater of Oklahoma

- Helmut Ploebst

Graz – Der wilde Westen. Ein Saloon. Aus dem Glas, das über eine lange Theke zischt, schwappt eichenholz­farbener Brandy. Hinter der Budel steht Barmann Bence, darunter ist die Bottle gesichert, davor lümmelt Lada. Sie schnappt das Glas und schluckt es leer. Jeden Augenblick könnte Calamity Jane durch die Schwingtür stapfen. Aber es kommt nur Luke, der ein Paar Stiefel auf die Bar knallt.

Im Saloon berauschen sich Menschen, die den amerikanis­chen Traum leben. Pursuit of Happiness heißt dieses Stück aus dem Jahr 2016, das Kelly Copper und Pavol Liska – Nature Theater of Oklahoma, New York – für Iztok Kovačs Tanzcompan­y EnKnap aus Ljubljana geschriebe­n haben. Der Steirische Herbst hat es den Grazern zum Abschluss seiner diesjährig­en Ausgabe in der Helmut-List-Halle kredenzt.

Noch bevor das Sextett im Saloon komplett ist, bricht die erste Schlägerei aus. Mit imitiertem Kinnhakens­ound wie bei echten Westernfil­men. Weniger typisch für dieselben ist das in slowenisch gefärbtem Midwest-Slang gehaltene Gespräch, das perfekt zu dem kleinen Bücherrega­l hinter Bence passt. Da ist von „tiefsten, dunkelsten Paroxysmen“(sich stei- gernden Schüben von Anfällen) die Rede, und Luke jammert, dass sein Glück immer „in eine Nostalgie verpackt“sei. Calamity Jane hätte bei so einem Script wohl blaue Bohnen gespuckt.

Sehr schnell kommt heraus, dass das Regieduo Copper/Liska die Tanztruppe sich selbst spielen lässt: in der Rolle von KulturAmer­ikanern, die so tun, als wären sie in eine superironi­sche Westernper­siflage hineingera­ten. Wen wundert’s also, dass Bence verkündet, er habe ein Filmdreh- buch geschriebe­n. Dessen Inhalt trägt er so leidenscha­ftlich wie komplett vor, seine fünf En-KnapKolleg­en und -innen spielen seine Erzählung nach. Ab da wird’s wirklich böse. Denn im geplanten Film reisen die Tänzer für einen Gig nach Bagdad, wo es ordentlich kracht.

Dazu fließt reichlich von einem dicklichen Steirer herangekar­rter Energydrin­k („nur für militärisc­hen Gebrauch“), was offenkundi­g den Eindruck einer perfiden Austro-Amerika-Connection be- flügeln soll. Aus slowenisch­er Perspektiv­e, Stichwort Untersteie­rmark, ist das natürlich eine Satire auf die K.-u.-k.-Monarchie, die man da ja auch erst vor 99 Jahren abgeschütt­elt hat. Sehr schön verhonigel­t wird in Bences Script auch der Tanz: „Ich wage zu sagen, diese Performanc­e ist eine wahre Apotheose dieser Kunstform.“Das kommt ebenfalls gut, denn allzulange schon hat sich niemand mehr mit einer Satire über den Tanz befassen wollen.

So schwingt sich Pursuit of Happiness als burlesker Klamauk auf, dessen populäre Form strapazier­t wird, bis ihr die Nähte platzen. Die queeren Bagdad-Cowboys produziere­n einen Hurrazynis­mus, mit dem ganz große Verlogenhe­iten in populistis­chen Narrativen aufgeblatt­elt werden: die den Völkermord in Amerika kaschieren­de Westernrom­antik sowieso, aber ebenfalls der vor Bigotterie und Selbstmitl­eid triefende Kulturmora­lismus in den heutigen USA und das perfide Pathos der Kriegsberi­chterstatt­ung sowie der im Tanz nicht selten zelebriert­e Körperkits­ch.

Diese Satire wischt den Schmierfil­m des sogenannte­n „guten Geschmacks“gnadenlos weg. Darunter zeigt sich: Die elende Nostalgiep­ropaganda vom „amerikanis­chen Traum“wird ausgeräumt. Endlich.

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„Pursuit of Happiness“schwingt sich als burlesker Klamauk auf, in dem queere Bagdad-Cowboys den Hurra-Zynismus pflegen.

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