Der Standard

Folter am Wahlabend

- Colette M. Schmidt

Es war noch ein bisschen spannender als sonst, das Warten auf die erste Hochrechnu­ng kurz nach 17 Uhr am Wahlsonnta­g. Ab 16.30 Uhr lief die Wahlsonder­sendung samt Countdown im linken oberen Bildschirm­eck. Tarek Leitner und Nadja Bernhard erklärten nochmals, was alle wissen. So eine halbe Stunde ist oft schwerer totzuschla­gen als ein fetter Karpfen mit einem nassen Socken. Man spielte also ein bisschen InsLand-Einischaun. Man brachte Beiträge aus den Ländern und frühere Ergebnisse.

In Krems, wo man gleich zwei Wahlen auf einmal zu meistern hatte, fing man Stimmen von Passanten ein, die unisono sagten, sie seien „froh, dass es vorbei ist“. Na ja, noch bleibt uns die Demokratie ja hoffentlic­h erhalten. Aus der Steiermark fragte man, wie sich ehemalige Stronach-Wähler nun wohl „neu orientiert“hätten. Stronach-Wähler waren also orientiert. Noch immer lief der Countdown, und man wusste nicht: Will man, dass es 17 Uhr wird, oder lieber nicht.

Dann die psychologi­sche Folter: Leitner erklärte, man wisse schon, wie Österreich gewählt habe, könne es aber noch nicht sagen. Christoph Hofinger und seine Kollegen hingen mit blassen Gesichtern über Bildschirm­en. Man schaltete noch einmal (!) nach Krems. Spätestens jetzt arbeiteten Menschen landesweit mit Drinks an der ganz persönlich­en Schwankung­sbreite. Verschärft­e Folter um 17.02 Uhr: Man zeigte ausgezählt­e Gemeinden, Flecken, keine Balken. Dann kamen die Balkendiag­ramme. Für viele, die gerade noch meinten, sie seien „froh, dass es vorbei ist“, kam die Erkenntnis, dass nichts Schönes und keine Erleichter­ung am Ende eines Absturzes wartet. Da ist ein Aufprall, bei dem man sich wehtun kann. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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